Der weiße Stern: Roman (Knaur TB) (German Edition)
überredet worden, nach Tejas zu kommen. Bereits die harte Überfahrt hatte ihre Vorfreude gedämpft, und nun befanden sie sich nicht in dem irdischen Paradies, das sie erwartet hatten, sondern in einem Land, dem sie alles würden abringen müssen, was sie zum Leben benötigten.
»Ich will nicht sagen, dass Gamuzana uns betrogen hat, ganz gewiss nicht«, erklärte Father Patrick, als sie am Abend am Lagerfeuer saßen. »Aber uns wurde weitaus mehr versprochen, als man eingehalten hat. Auch von Indianern hat man uns kaum etwas erzählt, und wenn, hieß es nur, dass diese friedlich seien.«
»Warum sollten Leute, die neue Siedler anlocken wollen, ehrlicher sein als die Werbeoffiziere eines Regiments? Versprochen wird viel, aber man muss immer damit rechnen, dass nur wenig davon eingehalten wird.« Walther wollte den Siedlern von Anfang an reinen Wein einschenken und gab ihnen einen kurzen Bericht über den Landstrich, in dem sie in Zukunft leben würden.
»Die Indianer sind immer eine Gefahr«, erklärte er. »Es gibt hier eine Reihe unterschiedlicher Stämme. Die wichtigsten sind die Komantschen, die mit ihnen verfeindeten Tonkawa und die Karankawa. Man muss stets auf der Hut sein, darf aber nie als Erster schießen, sonst macht man sich alle zum Feind. Dafür kann man mit einigen Gruppen sogar Handel treiben.«
»Womit denn?«, fragte ein anderer Ire. »Wir haben nicht einmal genug für uns selbst, weil Gamuzana uns nur einen Bruchteil der zugesagten Waren und Gerätschaften mitgegeben hat. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir dieses San Felipe de Guzmán nie verlassen.«
»Wovon hättet ihr dort leben wollen?«, fragte Walther. »Diebe werden in diesem Land entweder erschossen oder aufgehängt. Ihr habt keine andere Möglichkeit, als das euch versprochene Land zu besiedeln. Allerdings stellen nicht nur Indianer eine Gefahr dar, sondern auch Giftschlangen und Skorpione. Deswegen ist festes Schuhwerk auch für Frauen und Kinder so wichtig.«
»Sind die Schlangen wirklich so giftig?«, wollte Father Patrick wissen.
»Im ältesten Teil der Siedlung sind bisher vier Menschen an Schlangenbissen gestorben. In meinem eigenen Teil zwar noch niemand, aber eine der Frauen wurde gebissen und krankt immer noch an den Folgen.«
»Sie verstehen es wirklich, uns Hoffnung zu machen, Mister Fichtner!« Father Patrick schüttelte es, dann hob er mit einer resignierenden Geste die Hände. »Wir werden dieses Land bewältigen müssen, denn zu Hause war es nur ein elendes Dasein. Wer nicht rasch genug vor den englischen Lords und ihren Verwaltern den Rücken krümmte, erhielt die Reitpeitsche übergezogen, gleichgültig ob Mann, Weib oder Kind. Hier können wir wenigstens als freie Menschen leben, und das in einem katholischen Land, in dem ein Priester nicht damit rechnen muss, verhaftet zu werden, wenn er von Gottes Gerechtigkeit predigt.«
»Diese Freiheit solltet ihr in Ehren halten und sie euch bewahren«, erklärte Walther. »Die meisten, die in dieses Land kommen, tun es, um dem Hunger oder der Unterdrückung in der alten Heimat zu entgehen. Hier führen wir ein hartes, entbehrungsreiches Leben, doch ich glaube, es lohnt sich!«
Mit diesen Worten stand er auf und ging weiter zu Tobolinski, um diesem den gleichen Vortrag zu halten.
2.
M it zunehmender Wegstrecke gewöhnten sich die Menschen an diese Art zu reisen, und nach einer guten Woche sah Walther zufrieden, wie mehrere Polen und Sizilianer mit anpackten, als einer der irischen Wagen im Ufersand eines Flusses stecken blieb. Nun kamen sie rascher voran und passierten den Landstrich, in dem laut Hernando de Gamuzanas Worten Stephen Austin seine Kolonie errichtet haben sollte.
Es juckte Walther in den Fingern, die dortige Ansiedlung aufzusuchen. Für seine Gruppe hätte es jedoch einen Umweg von etlichen Tagen bedeutet, und das durfte er den Reisenden nicht zumuten. Zu Pferd war er jedoch weitaus schneller als die langsamen Gespanne, und als die drei Siedlerführer beschlossen, am Sonntag einen Rasttag einzulegen, nahm er die Gelegenheit wahr, zumindest einen Teil der Gegend zu erkunden.
Kaum hatte Father Patrick die Morgenmesse beendet, sattelte Walther sein Pferd. »Ich werde mich ein wenig umsehen«, sagte er zu den Anführern der drei Gruppen. »Ihr bleibt im Lager und sorgt dafür, dass sich kein Mann weiter als zweihundert Schritte entfernt. Für Frauen und Kinder gilt die Hälfte. Bis zum Abend bin ich wieder zurück.«
Ohne auf eine Antwort zu
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