Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Grün der Kiefern. Wenn die Sonne im richtigen Winkel auf das Gestein fiel, blitzte einer der Bäche, der durch die Schneeschmelze Hochwasser führte, gleißend auf.
Hinter Adams Haus lief eine Fräse. Sie wußte, daß Lily einen Garten anlegen wollte und Adam dazu überredet hatte, für ihre Setzlinge die Erde umzugraben, und obwohl er sie gewarnt hatte, daß es noch zu früh war, um die Pflanzen zu
setzen, hatte er ihr nachgegeben. Wie er es immer tun würde, dachte Tess.
Nur selten fand man eine so ergebene, verständnisvolle Liebe, wie sie zwischen den beiden herrschte. Ihre Gefühle waren beständig und unerschütterlich, und sooft Tess auch Menschen beobachtete und analysierte, um Vorlagen für ihre Charaktere zu finden, so hatte sie doch die Macht wahrer Liebe nie ganz begreifen können.
Sicher, sie konnte darüber schreiben, konnte ihren Figuren glückliche oder unglückliche Liebe andichten, aber verstehen konnte sie dieses Gefühl nicht. In diesem Punkt ging es ihr wie mit dem Land hier, in dem sie nun schon seit Monaten lebte. Sie hatte es schätzen gelernt, aber verstand sie es? Nicht ein bißchen.
Rinder und Pferde weideten auf den Hügeln, wo das Gras noch wintergrau war, und die Männer arbeiteten sich durch den Schlamm, den die Schneeschmelze mit sich brachte, um Zäune zu reparieren, Pfähle einzuschlagen und das Vieh weiterzutreiben.
Dieselbe Arbeit würden sie wieder und wieder verrichten, Monat für Monat, Jahr für Jahr. Auch darin lag eine Art von Liebe, vermutete Tess. Doch sobald sie selbst einen Anflug davon verspürte, unterdrückte sie ihn rigoros und dachte statt dessen an Palmen und an lebhafte Straßen voller Geschäfte.
Sie hatte, dachte Tess seufzend, ihren ersten – und hoffentlich letzten – Winter in Montana überlebt.
»Da bist du ja« rief sie, als sie Willa erblickte, und lief auf sie zu. Doch diese ritt, ohne anzuhalten, an ihr vorbei auf die nächstgelegene Weide zu. »Verdammt!« Nicht gewillt, sich so einfach abschütteln zu lassen, beschleunigte Tess ihr Tempo und folgte ihrer Schwester. Als sie Willa eingeholt hatte, war sie nur leicht außer Atem geraten. »Hör zu, wir müssen morgen in die Stadt fahren, um die Kleider für Lilys Hochzeit auszusuchen.«
»Keine Zeit!« Willa löste die Gurte und sattelte Moon ab. »Hab’ zu tun!«
»Du kommst nicht darum herum.« Tess zuckte zusammen,
als Willa gedankenlos auf die zarten Wildblumen trampelte, die um die Zaunpfähle herum wuchsen.
»Ich will mich ja auch nicht drücken.« Nachdem sie den Sattel über den Zaun gelegt hatte, nahm Willa dem Pferd die Satteldecke und das Zaumzeug ab. »Ich habe mich schon damit abgefunden, mich in irgendeinen modischen Fummel stecken und mir womöglich auch noch Blumen ins Haar flechten zu lassen, aber ich kann es mir einfach nicht leisten, einen ganzen Tag zu verlieren.«
Sie zog einen Hufkratzer aus der Tasche, hob ein Hinterbein der Stute an und machte sich daran, den Huf zu säubern.
»Wenn du nicht mitkommst, müssen Lily und ich ein Kleid für dich aussuchen.«
Willa brummte, schob Moons Schweif beiseite und griff nach dem nächsten Huf. »Das tut ihr doch sowieso, also ist es ganz egal, ob ich dabei bin oder nicht.«
Wie wahr, dachte Tess belustigt und tätschelte den Hals des Pferdes mit einer Selbstverständlichkeit, die sie früher nie für möglich gehalten hätte. »Es würde Lily viel bedeuten.«
Seufzend ging Willa zu den Vorderbeinen über. »Ich würde ihr wirklich gern den Gefallen tun, aber ich weiß im Moment nicht, wo mir der Kopf steht. Es ist noch soviel zu erledigen, solange sich das Wetter hält.«
»Wie bitte?«
»Solange das Wetter so bleibt wie jetzt.«
»Was soll sich denn da noch ändern?« Tess blickte stirnrunzelnd zu dem leuchtendblauen Himmel auf. »Wir haben Mitte April.«
»Hollywood, hier kann es im Juni noch schneien. Wir haben es noch nicht überstanden.« Auch Willa musterte prüfend den Himmel, die Schäfchenwolken, die sich über den Gipfeln zusammenzogen. Sie traute ihnen nicht. »Schnee im Frühling ist eine feine Sache, er bringt Feuchtigkeit, die das Land braucht, und schmilzt schnell. Aber ein Frühjahrsblizzard«, achselzuckend steckte sie den Hufkratzer wieder ein, »der ist unberechenbar.«
»Blizzard, du lieber Himmel. Die Blumen blühen ja schon.« Tess blickte auf die zertretenen Blüten hinunter. »Oder sie haben bis eben noch geblüht.«
»Das, was hier wächst, ist robust genug zum Überleben. Ich würde die lange
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