Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Hauptsache, es handelte sich um heiße Flüssigkeit, dachte Willa, als sie flüchtig aus dem Fenster schaute. Zumindest vorher hatte sie etwas zu tun gehabt, da galt es, die Polizei zu verständigen, die Suchtrupps abzuziehen und Bess anzuweisen, ein Krankenbett herzurichten. Nun konnte sie nur noch nutzlos herumsitzen und warten.
Als Bess die Treppe herunterkam, stürzte Willa auf sie zu und bestürmte sie mit Fragen. »Wie geht es ihr? Steht es sehr schlimm um sie? Was hast du ihr denn gegeben?«
»Ich tue alles menschenmögliche für sie.« Sorge und Schlafmangel bewirkten, daß sie einen wesentlich schärferen Tonfall anschlug als sonst. »Geh jetzt nach Hause und sieh zu, daß du ins Bett kommst. Du kannst später nach ihr sehen.«
»Sie gehört ins Krankenhaus«, meinte Tess, die eben mit einem Tablett zur Tür hereinkam, auf dem sie eine Schale mit dampfender Suppe balancierte.
»Ich kann sie hier genausogut versorgen. Wenn das Fieber nicht bald sinkt, muß Zack sie nach Billings fliegen. Im Augenblick ist sie in ihrem eigenen Bett besser aufgehoben, mit ihrem Mann an ihrer Seite.« Bess nahm Tess das Tablett ab. Sie wollte beide Mädchen aus dem Weg haben, damit sie sich nicht auch noch um sie Sorgen machen mußte. Eine Kranke zu betreuen reichte ihr voll und ganz. »Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten. Ich weiß schon, was ich tue.«
»Sie weiß immer, was sie tut.« Tess blickte ihr finster hinterher. »Und was wissen wir? Gar nichts. Lily könnte Frostbeulen davongetragen haben, oder Erfrierungen.«
»Dazu ist es nicht kalt genug«, meinte Willa matt. »Außerdem haben wir sie schon auf Erfrierungen hin untersucht. Nichts. Sie ist stark unterkühlt, völlig erschöpft und hat ein paar Prellungen und Blutergüsse, die von Schlägen herrühren dürften. Wenn Bess meint, daß es ihr schlechter geht, dann ist sie die erste, die sie ins Krankenhaus bringen läßt.«
Tess kniff die Lippen zusammen, dann sprach sie aus, was ihr schon seit Stunden auf der Seele lastete. »Er könnte sie immerhin vergewaltigt haben.«
Willa wandte sich ab. Auch dies war eine der Ängste, die nur eine Frau verstehen konnte und die sie während der ganzen langen Nacht zusätzlich zu allem anderen gequält hatte. »Wenn dem so wäre, hätte sie es Adam erzählt.«
»Für eine Frau ist es nicht immer leicht, über diese Erfahrung zu sprechen.«
»Adam kann man alles anvertrauen.« Willa rieb ihre verklebten
Augen, dann ließ sie die Hände sinken. »Ihre Kleider waren nicht zerrissen, Tess, und ich glaube, ihm stand der Sinn nach anderen Dingen als nach einer Vergewaltigung. Außerdem hätte Bess Anzeichen dafür entdeckt, als sie sie ausgezogen hat. Sie hätte es mir gesagt.«
»Gott sei Dank.« Zumindest diese entsetzliche Vorstellung konnte sie aus ihrem Gedächtnis streichen. »Willst du mir nicht erzählen, was dort oben vor sich gegangen ist?«
»Ich kenne auch nicht alle Einzelheiten.« Sie sah das Bild genauso deutlich vor sich wie all die anderen. Es war unauslöschlich in ihrem Gedächtnis eingeprägt. Verstehen konnte sie es trotzdem nicht. »Als wir sie gefunden haben, befand sich Lily im Delirium, und Cooke war tot. Tot«, wiederholte sie, ohne Tess’ Blick auszuweichen, »tot und verstümmelt wie all die anderen. Wie Pickles und dieses Mädchen.«
»Aber …« Tess war davon überzeugt gewesen, daß Adam seinen Widersacher getötet hatte. Sie war davon ausgegangen, daß sie sich zwar für die Polizei eine plausible Geschichte ausgedacht hatten, in Wirklichkeit aber Cooke von Adam getötet worden war. »Das ergibt doch keinen Sinn. Wenn Jesse Cooke die anderen umgebracht hat …«
»Ich weiß auch keine Antwort darauf.« Willa griff nach Hut und Mantel. »Jetzt brauche ich erst einmal frische Luft.«
»Willa.« Tess legte ihrer Schwester eine Hand auf den Arm. »Was ist, wenn Jesse Cooke die anderen nicht umgebracht hat?«
»Ich weiß immer noch keine Antwort.« Sie machte sich unwillig los. »Geh ins Bett, Hollywood. Du siehst grauenhaft aus.«
Die Bemerkung war nicht gerade höflich, doch Willa fiel nichts Besseres ein. Ihre Beine schienen aus Gummi zu bestehen. Langsam schleppte sie sich über die Straße. Es würde sich wohl nicht vermeiden lassen, daß sie von den Cops in die Mangel genommen wurde. Sie würde diese Tortur also ein weiteres Mal ertragen müssen. Und sie würde darüber nachdenken, was als nächstes zu tun war, so schwer es ihr auch fiel.
Vor dem Gebäude parkten viel zu
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