Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Bescherung. Seine Nase mochte zwar nicht so fein sein wie die Willas, dafür sahen seine Augen um so schärfer. Große Blutlachen färbten den Schnee rot, und auch die umliegenden Felsen wiesen Spritzer auf. Das schwarze Fell des Ochsen war ebenfalls von Blut verklebt. Der Hund umkreiste bellend das zerfleischte Tier und rannte dann zu den Pferden zurück.
»Verdammter Mist!« Ben stieg bereits ab. »Mein Gott, ist der übel zugerichtet.«
»Wölfe?« Nicht der Marktwert des Tieres, das sie verloren hatte, bedrückte Willa, sondern die sinnlose Zerstörung von Leben, die Grausamkeit, die damit verbunden war.
Ben war schon im Begriff, ihr zuzustimmen, doch dann
wußte er, daß das nicht stimmen konnte. Ein Wolf tötete seine Beute nicht und ließ sie dann liegen. Ein Wolf pflegte sein Opfer auch nicht derart in Fetzen zu reißen. So verhielt sich nur ein einziges Raubtier.
»Ein Mensch.«
Willa atmete tief ein, als sie näher kam und den Kadaver in Augenschein nahm. Dem Tier war die Kehle durchgeschnitten worden, danach hatte man es regelrecht ausgeweidet. Charlie preßte sich zitternd gegen ihre Beine. »Dieser Ochse wurde abgeschlachtet und verstümmelt.«
Als sie sich herunterbeugte, dachte sie an den von ihr erlegten Bären. Sie hatte keine andere Wahl gehabt, als ihn zu töten, und gemeinsam mit Ben hatte sie ihn sachkundig und geschickt abgehäutet. Aber dies hier erschien ihr wild, grausam und ohne erkennbaren Sinn.
»Fast noch in Sichtweite der Hütte«, bemerkte sie. »Das Blut ist gefroren, die Tat liegt also vermutlich schon Stunden zurück.«
»Es ist eins von deinen Tieren«, stellte Ben fest, nachdem er das Brandzeichen untersucht hatte.
»Das tut nichts zur Sache.« Trotzdem merkte sie sich die Nummer auf der gelben Markierung am Ohr. Der Tod des Tieres würde registriert werden. Sie erhob sich und sah zu der Hütte hinüber, von der Rauch aufstieg. »Warum ist das geschehen? Hast du schon einmal Vieh auf diese Weise verloren?«
»Nein.« Er trat neben sie. »Du?«
»Das ist das erste Mal. Ich kann nicht glauben, daß einer meiner Männer zu so etwas fähig ist.« Sie rang nach Luft. »Oder einer von deinen Leuten. Es muß sich noch jemand hier oben aufhalten.«
»Möglich.« Stirnrunzelnd blickte Ben zu Boden. Sie standen Schulter an Schulter nebeneinander; der Kadaver zu ihren Füßen knüpfte ein unsichtbares Band zwischen ihnen. Willa wich nicht zurück, als er ihr über das Haar strich und ihr freundschaftlich eine Hand auf den Arm legte. »Es hat zwar in der Zwischenzeit geschneit, und der Boden ist auch ziemlich zertrampelt, aber mir scheint, da
führt eine Spur nordwärts. Ich nehme ein paar Männer mit und folge ihr.«
»Es war mein Rind.«
Er sah ihr in die Augen. »Das tut nichts zur Sache«, wiederholte er ihre Worte. »Wir haben beide Herden hier oben stehen, die ins Tal getrieben werden müssen, und wir müssen den Vorfall melden. Übernimmst du das bitte, auf dich kann ich mich in dieser Hinsicht verlassen.«
Sie öffnete schon den Mund, um zu protestieren, dann besann sie sich. Er hatte recht, zum Fährtensuchen war sie denkbar ungeeignet, aber sie konnte durchaus das Zusammentreiben der Rinder organisieren. Mit einem zustimmenden Nicken trat sie zu ihrem Pferd. »Ich werde mit meinen Leuten sprechen.«
»Will.« Er berührte ihre Hand, bevor sie aufsitzen konnte. »Paß auf dich auf!«
Sie schwang sich in den Sattel. »Es sind meine Männer«, entgegnete sie und ritt los, in Richtung der Hütte.
Als sie die Hütte betrat, bereiteten die Männer gerade das Essen zu. Pickles stand an dem kleinen Herd, die stämmigen Beine gespreizt, und sein beachtlicher Bierbauch ließ seine riesige Gürtelschnalle kaum sehen. Er war knapp über vierzig und schon ziemlich kahl, ließ sich aber zum Ausgleich für den Verlust des Haupthaares einen üppigen rötlichen Schnauzbart stehen, der von Jahr zu Jahr länger wurde. Seinen Spitznamen verdankte er seiner Vorliebe für Mixed Pickles, und sein sauertöpfisches Wesen paßte dazu.
Als er Willa bemerkte, knurrte er eine Begrüßung und widmete sich wieder dem Schinken, den er gerade briet.
Jim Brewster hatte seine Füße, die in Stiefeln steckten, auf den Tisch gelegt und sog genüßlich am Stummel seiner Marlboro. Er war in den Dreißigern und sah blendend aus. Wenn er lachte, zeigten sich zwei Grübchen in seinen Mundwinkeln, und sein dunkles Haar fiel ihm bis auf den Hemdkragen. Er strahlte Willa an und zwinkerte ihr fröhlich
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