Der weite Himmel: Roman (German Edition)
keine Eier mehr legten, landeten im Kochtopf. Hirsche
und Elche wurden gejagt, um in Form von Braten und Steak auf den Tisch zu kommen. Das war der Lauf der Natur. Menschen wurden geboren und starben.
Auch Gewalt war Willa nicht fremd. Sie selbst hatte schon Lebewesen getötet und eigenhändig Wild abgehäutet, darauf hatte ihr Vater bestanden und angeordnet, daß sie jagen lernen und sich an den Anblick sterbender Tiere gewöhnen sollte. Damit konnte sie leben.
Aber die Grausamkeit, die abgrundtiefe Bosheit, die hinter dieser Tat lag, entzog sich ihrem Begriffsvermögen. So gut sie konnte, entfernte sie alle Blutstropfen, schob dann den Eimer mit dem rötlich verfärbten Wasser beiseite und setzte sich auf die Stufen, um zum Himmel emporzuschauen.
Eine Sternschnuppe bahnte sich, einen weißflammenden Schweif hinter sich herziehend, ihren Weg durch die Nacht und erstarb.
Ganz in der Nähe ertönte der Schrei einer Eule, und Willa wußte, daß die anvisierte Beute jetzt verzweifelt nach einem Schlupfloch suchen würde. Heute nacht war Vollmond, die Nacht der Jäger, heute nacht herrschte der Tod – im Wald, in den Bergen, auf den Wiesen. Es gab nichts, was sie dagegen hätte tun können. Aber diese altbekannte Tatsache sollte in ihr eigentlich nicht den Wunsch erwecken, die Hände vor das Gesicht zu schlagen und zu weinen.
Als sie Schritte hörte, riß sie sich energisch zusammen. Sie wollte gerade aufstehen, als Ben und Adam um die Ecke kamen.
»Ich hätte die Schweinerei schon weggewischt, Will.« Adam nahm ihr den Eimer aus der Hand. »Das ist keine Arbeit für dich.«
»Schon erledigt.« Willa strich ihrem Halbbruder sacht über die Wange. »Ach, Adam, es tut mir so leid um den alten Mike.«
»Er hat sich so gerne auf dem Felsen hinter der Scheune gesonnt, also haben wir ihn dort begraben.« Flüchtig blickte Adam zum Fenster hin. »Wie geht es Lily?«
»Bess ist bei ihr. Sie ist in solchen Fällen brauchbarer als ich.«
»Ich schütte eben das Wasser aus, dann schaue ich nach ihr.«
»Tu das.« Trotzdem ließ sie ihre Hand noch einen Moment, wo sie war, und murmelte etwas in der Sprache ihrer indianischen Mutter.
Nicht die tröstenden Worte, sondern die fremdartigen Laute entlockten Adam ein Lächeln. Willa gebrauchte diese Sprache sehr selten und nur dann, wenn ihr eine Sache wirklich zu Herzen ging. Er drehte sich leise um und ließ sie mit Ben allein.
»Du hast ein Problem, Will.«
»Davon habe ich mehr als genug.«
»Wer immer hierfür verantwortlich ist, er hat es getan, während wir im Haus waren.« Und uns wie die Schulkinder gebalgt haben, fügte er in Gedanken hinzu. »Ham will ein ernstes Wörtchen mit Woods Söhnen reden.«
»Joe und Pete?« meinte Willa verächtlich, »nie im Leben. Die Jungs schlagen öfter mal über die Stränge, aber sie würden niemals eine harmlose alte Katze foltern.«
Ben rieb sich über die Narbe an seinem Kinn. »Das ist dir also aufgefallen.«
»Ich hab’ ja schließlich Augen im Kopf.« Willa mußte ein paarmal schlucken, da sich ihr Magen bei der Erinnerung an das, was sie gesehen hatte, umzudrehen drohte. »Das sadistische Schwein hat Mike das Fleisch stückeweise aus dem Leib geschnitten, und außerdem habe ich Brandspuren entdeckt, als ob er eine Zigarette in seinem Fell ausgedrückt hat. Woods Söhne waren das nicht, soviel steht fest. Adam hat jedem von ihnen letzten Frühling ein Kätzchen geschenkt, und sie verhätscheln diese Miezen nach Strich und Faden.«
»Ist Adam kürzlich jemandem auf den Schlips getreten?«
Willa vermied es, auf Ben hinunterzuschauen. »Das galt nicht Adam, sondern mir.«
»Okay.« Da er die Sache genauso sah, nickte er zustimmend. Er machte sich Sorgen. »Hast du in der letzten Zeit jemanden verärgert?«
»Abgesehen von dir?«
Er lächelte leicht und kam die Stufen hinauf, so daß sie
sich Auge in Auge gegenüberstanden. »Du hast mich schon dein ganzes Leben lang geärgert, das zählt also nicht. Ich meine es ernst, Willa.« Er nahm ihre Hand. »Gibt es jemanden, der dir eins auswischen möchte?«
Verblüfft starrte sie auf ihre ineinander verschlungenen Hände. »Soviel ich weiß, nein. Wood und Pickles müssen vielleicht erst einmal die Tatsache verdauen, daß ich jetzt das Sagen habe. Pickles fällt das ganz besonders schwer, aber einzig und allein deshalb, weil ich eine Frau bin. Ich kann mir nicht vorstellen, daß einer von beiden persönliche Abneigungen gegen mich hegt.«
»Pickles hat sich oben in den
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