Der weite Himmel: Roman (German Edition)
»Glaubst du, jemand könnte versuchen, einen von uns umzubringen?«
»Redet doch keinen Quatsch!« Ham knallte seine Tasse auf den Tisch. »Pickles versucht doch nur, uns alle aufzuwiegeln, weil es ihm nicht paßt, sich von einer Frau Befehle erteilen zu lassen. Ein Rind oder eine alte räudige Katze zu töten ist noch lange nicht dasselbe, wie einen Menschen umzubringen.«
»Ham hat recht.« Trotzdem mußte Jim schlucken, und die restlichen Klöße auf seinem Teller konnten ihn auf einmal nicht mehr reizen. »Aber es kann ja nichts schaden, wenn wir in der nächsten Zeit die Augen offenhalten. Immerhin sind jetzt noch zwei Frauen mehr auf der Ranch.« Er schob seinen
Teller weg und stand auf. »Vielleicht sollten wir wirklich ein bißchen auf sie aufpassen.«
»Ich übernehme Will«, erbot sich Billy hastig, was ihm einen heftigen Rippenstoß von Ham eintrug.
»Du wirst dich um deine Arbeit kümmern und sonst nichts. Ich habe keine Lust, hier unnötige Panik zu verbreiten. Pickles, wenn du nichts halbwegs Intelligentes zu sagen hast, dann halt die Klappe. Das gilt für euch alle.« Er sah die Männer der Reihe nach streng an, dann nickte er zufrieden. »So, ich will mir jetzt in Ruhe Jeopardy ansehen.«
»Das eine sage ich euch«, murmelte Pickles verhalten, »von nun an tue ich keinen Schritt mehr ohne meine Flinte und mein Messer, und wenn mir irgendeiner komisch kommt, dann wird er sein blaues Wunder erleben. Der alte Pickles kann gut auf sich selbst aufpassen.« Sprach’s, nahm sein Bier und verließ das Zimmer.
Jim ging zum Kühlschrank, um sich ein Bier zu holen, und warf dabei einen Blick auf Billys bleiches Gesicht. Der arme Kerl würde mit Sicherheit heute nacht Alpträume bekommen, dachte er mitleidig. »Pickles spuckt immer große Töne, Billy, du weißt doch, wie er ist.«
»Schon, aber …« Billy fuhr sich mit der Hand über den Mund. Es war ja bloß eine Katze, nur eine alte Flohkiste, beruhigte er sich. »Doch, Jim, ich weiß, wie er ist.«
Auch Willa litt unter Alpträumen, aus denen sie schweißgebadet erwachte. Sie kämpfte sich aus den durcheinandergeratenen Decken frei und rang keuchend nach Luft. Zitternd blieb sie eine Weile auf dem Bett sitzen. Bleiches Mondlicht durchflutete den Raum und tauchte ihn in ein gespenstisches Licht.
Sie wußte nicht mehr so genau, was sie im Schlaf eigentlich gequält hatte. Blut, Furcht und Panik. Aufblitzende Messer. Eine kopflose Katze, die sie verfolgte. Eigentlich lächerlich, wenn sie es nüchtern betrachtete. Willa ließ den Kopf auf die angezogenen Knie sinken und versuchte zu lachen, doch der Laut, den sie hervorbrachte, kam einem Schluchzen bedenklich nahe.
Ihre Beine drohten unter ihr nachzugeben, als sie aus dem Bett stieg. Doch es gelang ihr, sich ins Badezimmer zu schleppen, wo sie das Licht anknipste, den Kopf über das Waschbecken beugte und sich eiskaltes Wasser ins Gesicht spritzte. Nachdem sie sich den kalten Schweiß abgewaschen hatte, ging es ihr ein wenig besser. Sie hob den Kopf und betrachtete ihr Spiegelbild.
Ihr Gesicht hatte sich nicht verändert. Nichts hatte sich wirklich geändert. Sie war einfach nur von Alpträumen heimgesucht worden und hatte dementsprechend schlecht geschlafen. Auch bei ihr hinterließen die Ereignisse der letzten Tage ihre Spuren. Die ganze Sorge lastete auf ihren Schultern, und diese Bürde mußte sie allein tragen. Sie konnte sie auf niemanden abwälzen und mit niemandem teilen.
Sie trug die Verantwortung für ihre Schwestern, für die Ranch und für alles, was dort geschah. Und sie würde damit fertig werden.
Auch mit dieser seltsamen, beunruhigenden Wandlung in ihrem Inneren, dem ersten bewußten Wahrnehmen ihrer Weiblichkeit, konnte sie umgehen. Sie hatte weder Zeit noch Lust, mit Ben McKinnon neckische Spielchen zu spielen. Außerdem versuchte dieser lediglich, sie auf die Palme zu bringen, wie er es immer getan hatte. Willa wischte eine Haarsträhne von ihrer feuchten Wange und ließ kaltes Wasser in ein Glas laufen. Er hatte sich noch nie ernsthaft für sie interessiert, und wenn er jetzt so tat als ob, dann nur um seines eigenen Vergnügens willen. So etwas sah Ben ähnlich. Fast mußte sie lächeln, als die kühle Flüssigkeit ihre Kehle hinunterrann.
Vielleicht würde sie ihm doch irgendwann gestatten, sie zu küssen, nur so als Test. Danach konnte sie vermutlich besser schlafen. Ein Kuß könnte ihn ein für allemal aus ihren Träumen verbannen, und wenn sie nicht mehr ständig
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