Der weite Himmel: Roman (German Edition)
neuen Stiefeln, gegen eine Schar Hühner kämpfte. Ein Anblick für die Götter. »Suchen Sie sich das Frühstück zusammen?«
»Mehr oder weniger.« Tess strich sich das Haar aus dem Gesicht. »Was tun Sie denn hier?«
»Ich hab’ etwas mit Will zu besprechen. Ihre Hand blutet«, fügte er hinzu.
»Ich weiß.« Erbost saugte Tess an den Wunden auf ihrem Handrücken. »Dieses hinterhältige Federvieh hat mich attakkiert.«
»Sie packen die Sache nicht richtig an.« Nate reichte ihr ein Taschentuch, damit sie es sich um die verletzte Hand wikkeln konnte, dann ging er zum nächsten Nest hinüber. Obwohl er sich bücken mußte, um nicht mit dem Kopf an die Decke zu stoßen, bewegte er sich erstaunlich anmutig, stellte Tess fest. »Sie müssen sich ganz natürlich geben. Greifen Sie rasch zu, aber vermeiden Sie abrupte Bewegungen.« Zum Beweis schob er eine Hand unter die leise gackernde Henne und zog ein Ei hervor. Kein Federchen rührte sich.
»Ich bin ein blutiger Anfänger in diesem Job.« Schmollend hielt Tess ihm den Eimer hin. »Mir ist es lieber, wenn ich meine Hühnchen zellophanverpackt in der Tiefkühlabteilung eines Supermarktes vorfinde.« Als er weiterging und nach und nach die Eier einsammelte, folgte sie ihm zögernd. »Sie halten vermutlich selbst Hühner.«
»Früher ja. Heute gebe ich mich damit nicht mehr ab.«
»Rinder?«
»Nein.«
Tess hob die Brauen. »Schafe? Ist das nicht ein ziemliches Risiko? Da gibt es doch ständig Streit um Weideland und Wasserstellen. Ich kenne mich aus, ich versäume keinen Western im Fernsehen.«
»Ich züchte auch keine Schafe.« Nate legte vorsichtig ein Ei in den Eimer. »Nur Pferde. Reitpferde. Können Sie reiten, Miz Mercy?«
»Nein.« Achselzuckend warf sie ihr Haar zurück. »Obwohl mir nahegelegt wurde, es zu lernen. Außerdem hätte ich dann wenigstens etwas zu tun.«
»Adam könnte es Ihnen beibringen. Oder ich.«
»Wirklich?« Tess lächelte leicht und klimperte mit den Wimpern. »Und warum sollten Sie das tun, Mr. Torrence?«
»Nachbarn helfen sich hier gegenseitig.« Nate schnupperte. Ein aufreizender Duft umgab sie, dunkel, gefährlich und ausgesprochen weiblich. Rasch griff er nach dem nächsten Ei. »Aber nennen Sie mich Nate.«
»Gerne.« Ihre Stimme verwandelte sich zu einem samtweichen Schnurren, und sie warf ihm durch die dichten Wimpern hindurch einen verführerischen Blick zu. »Sind wir denn Nachbarn, Nate?«
»Könnte man sagen. Meine Ranch liegt östlich von hier. Für jemanden, der gerade eine Schlacht gegen blutrünstige Hühner gewonnen hat, riechen Sie sehr gut, Miz Mercy.«
»Nennen Sie mich Tess. Flirten Sie etwa mit mir, Nate?«
»Ich gehe lediglich auf Ihre Flirtversuche ein.« Er lächelte sie an. »Das lag doch in Ihrer Absicht, nicht wahr?«
»Könnte man sagen.«
»Nun, wenn ich Ihnen einen Rat geben darf …«
»Anwälte haben stets gute Ratschläge parat«, unterbrach sie ihn.
»Richtig. Ich würde Ihnen raten, sich ein wenig zurückzuhalten. Die Jungs hier sind nicht an Frauen gewöhnt, die soviel Klasse haben wie Sie.«
»Ach?« Sie war sich nicht sicher, ob die Bemerkung als Beleidigung oder als Kompliment gemeint war, aber sie beschloß,
zu seinen Gunsten letzteres anzunehmen. »Sind Sie denn an Frauen mit Stil gewöhnt?«
»Kann ich nicht behaupten.« Mit seinen ruhigen blauen Augen sah er sie lange nachdenklich an. »Aber ich erkenne eine, wenn ich sie sehe. Innerhalb einer Woche haben Sie alle Männer hier so verrückt gemacht, daß sie sich gegenseitig an die Gurgel gehen.«
Nun, das war eindeutig ein Kompliment, dachte sie. »Dann wäre es hier vielleicht nicht mehr ganz so langweilig.«
»Wie ich hörte, gab es in der letzten Zeit genug Aufregung.«
»Tote Katzen und abgeschlachtete Rinder.« Sie schnitt eine Grimasse. »Ekelhafte Geschichte. Gut, daß ich nicht da war.«
»Aber jetzt sind Sie ja da. So, das wären alle«, erklärte er, und sie sah in den Eimer.
»Mehr als genug. Igitt, sind die schmierig.« Vermutlich würde sie in der nächsten Zeit kein Omelett mehr anrühren können.«
»Man kann sie abwaschen.« Nate nahm den Eimer und ging zur Tür. »Leben Sie sich langsam hier ein?«
»So gut ich kann. Es ist einfach nicht mein Milieu – nicht meine normale Umgebung.«
Er grinste. »Leute Ihres – wie sagten Sie doch gleich? – Ihres Milieus kommen scharenweise hierher. Nur bleiben sie nie lange.« Instinktiv duckte er sich, seinen Kopf vor dem niedrigen Rahmen der Stalltür zu
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