Der weite Himmel: Roman (German Edition)
Gesicht. »Er schenkte ihr nicht ein Fünkchen Zuneigung, nicht ein einziges lobendes Wort, egal wie sehr sie sich für ihn abrackerte. Nie konnte sie es ihm recht machen.«
Er würde ihr keine Schuldgefühle einimpfen, schwor sich Tess. Und es würde ihm auch nicht gelingen, Sympathie für diese Frau in ihr zu erwecken. »Sie hätte ja nicht hierbleiben müssen.«
»Richtig, sie hätte fortgehen können. Dummerweise liebte sie aber diese Ranch. Und sie liebte ihn. Sie müssen um Ihren Vater nicht trauern, Tess, weil Sie ihn schon vor Jahren verloren haben. Aber Willa trauert, ob er es nun verdient hat oder nicht. Ihm lag an Willa genausowenig wie an Ihnen oder an Lily, aber sie hatte noch nicht einmal das Glück, noch eine Mutter zu haben.«
Nun keimte doch ein leises Mitgefühl in Tess auf, ansatzweise wenigstens. »So leid mir das tut, es hat nichts mit mir zu tun.«
Nate nahm einen tiefen Zug, drückte die Zigarette dann sorgfältig aus und erhob sich. »Es hat eine ganze Menge mit Ihnen zu tun.« Als er sie ansah, wirkten seine Augen plötzlich kühl und abschätzend, und sie sah den Anwalt in ihm. »Wenn Sie das nicht verstehen, dann steckt entschieden zuviel von Jack Mercy in Ihnen. Ich muß jetzt gehen.« Er berührte flüchtig seine Hutkrempe und verließ den Raum.
Tess blieb noch lange regungslos stehen und starrte zu dem Porträt des Mannes empor, der ihr Vater gewesen war.
Meilen entfernt, auf dem Gebiet von Three Rocks, pfiff Jesse Cooke gutgelaunt durch die Zähne, während er an einem alten Ford-Pritschenwagen die Zündkerzen austauschte. Die Unterhaltung beim Frühstück hatte sich einzig und allein um die verstümmelten Tiere auf der Mercy Ranch gedreht und ihn in Hochstimmung versetzt. Und zur Krönung des Ganzen war auch noch ausgerechnet Lily über die geköpfte Katze gestolpert.
Schade, daß er diese Szene nicht hatte mitansehen können.
Aber Legs Monroe hatte von Wood Book drüben auf Mercy gehört, daß sich das kleine Stadtfräulein mit dem blauen Auge die Seele aus dem Leib geschrien hatte.
Herrlich!
Jesse pfiff eine Countrymelodie, während er mit geschickten Fingern einige Schrauben anzog. Countrymusik hatte er seit jeher verabscheut, die weinerlichen Frauen, die sich schluchzend über ihre Männer beklagten; die rückgratlosen Männer, die sich wegen irgendeines Weibsbildes das Leben schwermachten. Aber er mußte sich den Gegebenheiten anpassen. Jeder seiner Mitbewohner schwärmte für diese Art Musik, und aus dem Radio tönte Tag und Nacht nichts anderes. Aber damit konnte er leben. Er kam nämlich mehr und mehr zu der Überzeugung, daß Montana genau der richtige Platz für ihn war.
Ein Land für echte Männer, fand er. Für Männer, die auf nichts und niemanden angewiesen waren und die ihre Frauen fest im Griff hatten. Nachdem er Lily eine angemessene Lektion erteilt hatte, würden sie sich hier niederlassen. Schließlich würde sie bald eine wohlhabende Frau sein.
Bei diesem erfreulichen Gedanken kicherte er leise und wippte mit dem Fuß im Rhythmus der Melodie. Der Gedanke daran, daß das Spatzenhirn Lily ein Drittel von einer der besten Ranches im ganzen Staat erbte, erheiterte ihn. Ein gottverdammtes Vermögen. Alles, was er zu tun hatte, war, dies eine Jahr abzuwarten.
Jesse zog den Kopf unter der Motorhaube hervor und blickte sich um. Die Berge, das Land, der Himmel – eine Gegend, so hart und zäh wie er selbst. Hier gehörte er hin, und Lily würde lernen müssen, daß ihr Platz an seiner Seite war. Das Wort ›Scheidung‹ existierte in Jesse Cookes Vokabular nicht. Die Frau hatte bei ihm zu bleiben, und wenn er seine Fäuste einsetzen mußte, um ihr diese elementare Tatsache klarzumachen, nun, das war schließlich sein gutes Recht als Ehemann.
Er mußte sich nur in Geduld fassen. Das fiel ihm am schwersten, gestand er sich ein und wischte sich mit einer ölverschmierten Hand über die Wange. Sollte sie herausfinden, daß er sich in der Nähe aufhielt, würde sie die Flucht ergreifen, und er durfte nicht zulassen, daß sie die Ranch verließ, ehe das Jahr um war. Aber natürlich konnte er auch weiterhin ein wachsames Auge auf sie haben. O ja, er würde gut auf das nutzlose Frauenzimmer aufpassen. Es war geradezu kinderleicht gewesen, sich mit einigen der Hohlköpfe drüben auf Mercy anzufreunden. Ein paar Bier, eine Runde Poker, und schon konnte er sie problemlos aushorchen. Er konnte die Nachbarranch aufsuchen, sooft er wollte, vorausgesetzt, er trug Sorge,
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