Der weite Himmel: Roman (German Edition)
schützen. »Halb Hollywood fällt hier ein, kauft Land und setzt Prachtvillen darauf, die ein Vermögen kosten. Die Leute glauben, sie könnten hier noch Büffel oder Mustangs jagen oder Gott weiß was züchten.«
»Mögen Sie keine Kalifornier?«
»Kalifornier passen nicht nach Montana. Das ist eine Tatsache. Und es dauert meist auch nicht lange, bis sie zu ihren Restaurants und Nachtclubs zurückkehren.« Er drehte sich um und musterte sie. »Was Sie ja auch tun werden, sobald das Jahr um ist.«
»Worauf Sie sich verlassen können. Behalten Sie nur Ihr offenes Land, Kumpel. Ich ziehe Beverly Hills vor.«
»Also Smog, Schlammlawinen und Erdbeben.«
Tess lächelte nur. »Bitte hören Sie auf. Ich bekomme Heimweh.« Jetzt wußte sie, in welche Schublade sie ihn stekken konnte. Ein in Montana geborener und aufgewachsener Naturbursche, langsam und gründlich, der kaltes Bier und anständige, zurückhaltende Frauen mochte. Der Typ Cowboy, der am Ende eines B-Westerns sein Pferd küßte. Trotzdem fand sie ihn überwältigend attraktiv.
»Warum sind Sie Jurist geworden, Nate? Haben Sie Angst, jemand könnte Ihre Pferde verklagen?«
»Das weniger.« Nate verlangsamte seinen Schritt, damit sie mit ihm mitkam. »Das Rechtswesen hat mich einfach interessiert. Außerdem kommt mein zusätzlicher Verdienst der Ranch zugute. Man braucht Zeit und Geld, um gute Pferde zu züchten.«
»Also haben Sie Jura studiert, um Ihr Einkommen aufbessern zu können. Wo denn? An der Universität von Montana?« Ihr Mund verzog sich belustigt. »Ich nehme an, in Montana gibt es eine Universität, oder nicht?«
»Soviel ich weiß, ja.« Der Sarkasmus in ihrer Stimme war ihm nicht entgangen. »Aber ich war in Yale.«
»Wo waren Sie?« Da sie vor Erstaunen wie angewurzelt stehenblieb, war er ihr bereits ein gutes Stück voraus, als sie sich endlich wieder fing und in Bewegung setzte. »Yale? Sie haben in Yale studiert und sind in dieses gottverlassene Land zurückgekehrt, um für eine Horde Cowboys und Rancharbeiter den Rechtsverdreher zu spielen?«
»Ich betrachte meine Arbeit keineswegs als Spiel.« Nate berührte grüßend seine Hutkrempe, drehte sich um und ging auf einen Korral zu, der neben der Scheune lag.
»Yale.« Tess konnte es nicht fassen. Kopfschüttelnd nahm sie den Eimer, den er ihr zurückgegeben hatte, in die andere Hand und lief ihm eilig nach. »Hey, warten Sie mal, Nate …«
Doch dann blieb sie stehen. In dem Korral herrschte ziemliche Hektik. Willa und zwei ihrer Männer machten irgend etwas mit einem kleinen Rind, etwas, was dem Tier gar nicht zu behagen schien. Vielleicht bekamen die Rinder ja gerade Brandzeichen. Neugierig trat Tess näher, um sich das Spiel
genauer anzusehen. Außerdem wollte sie noch einmal mit Nate reden, der am Zaun lehnte.
Sie packte den Eimer fester, lief zum Gatter und öffnete es. Niemand würdigte sie auch nur eines Blickes, sie waren alle viel zu sehr mit ihrer Arbeit beschäftigt. Tess zog einen Flunsch, beugte sich vor und blinzelte über Willas Schulter, um zu sehen, was dort vor sich ging.
Als sie sah, wie Jim Brewster das Kalb rasch und geschickt kastrierte, traten ihr beinahe die Augen aus dem Kopf. Lautlos fiel sie in sich zusammen. Allein das Scheppern des zu Boden fallenden Eimers veranlaßte Willa, sich zu ihr umzudrehen.
»Du lieber Himmel, sieh dir das an!«
»Sie ist in Ohnmacht gefallen«, informierte Jim sie und erntete einen bitterbösen Blick.
»Das sehe ich selber, mach du mit dem Kalb weiter.« Unwillig richtete sie sich auf, doch Nate war schon dabei, Tess aufzuheben. »Heb dir keinen Bruch, Nate.«
»Ein Federgewicht ist sie gerade nicht.« Nate grinste. »Ich muß sagen, deine Schwester hat wirklich einen wohlproportionierten Körper, Will.«
»Du kannst dich ja an ihren Reizen erfreuen, während du sie ins Haus trägst. O verflixt!« Willa hob den Eimer auf. »Sie hat doch tatsächlich fast jedes Ei zerbrochen. Bess kriegt einen Anfall.« Angewidert sah sie zu Jim und Pickles hinüber. »Ihr zwei macht weiter. Ich muß mich erst mal um die Bescherung hier kümmern. Als ob ich nichts Besseres zu tun hätte, als für eine hirnlose Großstadtpflanze Riechsalz aufzutreiben!«
»Geh nicht so hart mit ihr ins Gericht«, bat Nate, der Tess über die Straße zum Wohnhaus trug. Um seine Lippen zuckte es leicht. »Sie wurde immerhin aus ihrem gewohnten Milieu herausgerissen.«
»Wenn sie doch bloß wieder dahin zurückkehren und aus meinem Milieu verschwinden
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