Der weite Himmel: Roman (German Edition)
statt sie einzuschüchtern. »Nicht viele hätten das durchgestanden, was sie heute durchmachen mußte, ohne die Nerven zu verlieren.«
»Eigentlich sollte sie jetzt nicht alleine sein.« Lily preßte die Finger gegen die Lippen. »Ich würde sie ja gerne begleiten, aber ich weiß nicht, ob ihr das recht wäre.«
»Nein, sie wird besser alleine damit fertig.« Trotzdem nahm Ben erfreut lächelnd zur Kenntnis, daß dieses Angebot von Herzen gekommen war. »Für Sie beide war das nicht gerade ein erholsames Wochenende auf einer Ferienranch, aber dennoch: Herzlich willkommen in Montana.«
»Ich finde es hier einfach wunderbar.« Die Worte waren kaum heraus, als Lily verlegen errötete und rasch aufsprang, weil Tess leise in sich hineinkicherte. »Möchte jemand etwas essen? Ich habe Suppe gemacht, und im Kühlschrank sind noch genug Zutaten für ein paar Sandwiches.«
»Engelchen, wenn das Ihre Suppe ist, die ich da rieche, dann hätte ich gerne einen Teller.«
»Gerne. Tess?«
»Sicher, warum nicht?« Da Lily bereits eifrig am Herd herumhantierte, blieb Tess sitzen und trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum. »Hält die Polizei es für
möglich, daß der Täter zu den Mitarbeitern der Ranch gehört?«
Ben nahm ihr gegenüber Platz. »Vermutlich konzentrieren sie sich zunächst auf die Ranch und die nähere Umgebung. Zwar führt keine öffentliche Straße über das Gebiet, was aber nicht heißen muß, daß niemand von außerhalb auf das Gelände gelangen kann, zum Beispiel zu Pferd oder mit einem Jeep.« Achselzuckend fuhr sich Ben mit der Hand durchs Haar. »Von Three Rocks aus kommt man problemlos auf Mercy-Gebiet. Ich war ja selbst schon öfter dort.«
Tess’ forschender Blick ließ ihn lächeln. »Ich kann Ihnen natürlich versichern, daß ich den alten Pickles nicht umgebracht habe, aber Sie kennen mich ja gar nicht. Außerdem hat man auch noch von der Rocking R Ranch, von Nates Besitz und von den Bergen aus Zugang zum Tatort.«
»Aha.« Tess schenkte sich Wein nach. »Das engt den Kreis der Verdächtigen natürlich gewaltig ein.«
»Eins kann ich Ihnen verraten: Jeder, der sich hier in den Bergen und in der Umgebung auskennt, kann sich monatelang versteckt halten und praktisch nach Belieben kommen und gehen, ohne daß es auffällt.«
»Wir sind Ihnen für Ihre beruhigenden Worte wirklich sehr dankbar.« Tess schielte verstohlen zu Lily, die gerade Teller mit dampfender Suppe auftrug. »Nicht wahr, Lily?«
»Mir ist es lieber, wenn ich Bescheid weiß.« Lily rutschte neben Tess auf die Bank und faltete erneut die Hände. »Nur wenn man die Sachlage kennt, kann man die entsprechenden Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.«
»Vollkommen richtig. Als erstes sollten Sie sich nach Möglichkeit nicht allzuweit vom Haus entfernen, wenn Sie alleine unterwegs sind.«
»Ich bin ohnehin kein begeisterter Spaziergänger.« Obwohl ihr plötzlich etwas flau im Magen wurde, löffelte Tess tapfer ihre Suppe. »Und Lily steckt meistens mit Adam zusammen.« Sie blickte Ben fragend an. »Adam gehört doch wohl nicht auch zu den Verdächtigen?«
»Ich weiß nicht, zu welchen Schlüssen die Polizei bisher gelangt ist, aber ich schwöre Ihnen, daß Adam Wolfchild sich
eher Flügel wachsen lassen und nach Idaho fliegen würde, als einen Mann in Stücke zu schneiden und zu skalpieren.« Er schaute auf, als Tess ihren Löffel mit lautem Krach auf den Tisch fallen ließ, und verfluchte seine eigene Dummheit. »Entschuldigung. Ich dachte, Sie seien mit den Details vertraut.«
»Jetzt ja.« Tess schob ihren Teller beiseite und griff nach dem Weinglas.
»Und das hat sie mitangesehen?« Lily knetete nervös ihre Hände. »Sie hat einen … einen dermaßen zugerichteten Leichnam gefunden?«
»Sie wird damit leben müssen.« Sie beide würden versuchen müssen, mit der Erinnerung fertig zu werden, denn Ben wußte, daß auch er diesen Anblick niemals vollständig aus seinem Gedächtnis würde tilgen können. »Ich möchte Ihnen keine Angst einjagen, sondern Sie lediglich bitten, vorsichtig zu sein.«
»Worauf Sie sich verlassen können«, versprach Tess voller Inbrunst. »Aber was ist mit ihr?« Mit dem Daumen deutete sie zur Decke. »Wenn Sie Willa im Haus halten wollen, dann müssen Sie sie schon in Ketten legen.«
»Adam wird ein Auge auf sie haben, genau wie ich.« In der Hoffnung, daß die Spannung sich ein wenig lösen würde, löffelte er eifrig seine Suppe. »Und mir wird es nicht allzu schwerfallen, hier in der
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