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Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Der weite Himmel: Roman (German Edition)

Titel: Der weite Himmel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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war bis zur Taille im Schnee versunken, während Tess sich zur Seite rollte und nach Luft ringend Schnee ausspuckte.
    »So eine gottverdammte …« Sie rappelte sich mühsam hoch, und ihre Augen wurden gefährlich schmal, als sie Lily kichern hörte. »Was ist denn daran so komisch? Wir können jede Minute unter Schneemassen begraben werden, und dann findet man uns erst, wenn im Frühjahr das Tauwetter einsetzt.« Doch auch sie mußte unwillkürlich lachen, als sie Lily ansah, die wie eine winzige Königin auf einem Thron aus Schnee hockte. »Du siehst im Moment selbst ziemlich albern aus.«
    »Das Kompliment kann ich zurückgeben.« Nach Atem ringend, preßte Lily eine behandschuhte Hand aufs Herz. »Außerdem hast du einen Bart.«
    Gleichmütig wischte sich Tess den Schnee vom Kinn und
warf ihn Lily ins Gesicht. Mehr bedurfte es nicht, um beide dazu zu bringen, trotz des schneidenden Windes ungelenkig Schneebälle zu formen und sich gegenseitig damit zu bewerfen. Kreischend und quietschend vor Vergnügen krochen sie auf den Knien durch den Schnee, und da sie kaum einen halben Meter voneinander entfernt waren, kam es weniger auf die Treffsicherheit als auf die Schnelligkeit an. Als ein Geschoß sie an der Wange traf und der Schnee kalt in ihren Mantelkragen rieselte, mußte Tess zugeben, daß Lily ihr auf diesem Gebiet überlegen war. So zart und zerbrechlich sie auch aussah, sie bewegte sich blitzschnell, und hinter ihren Würfen steckte eine erstaunliche Wucht.
    Es gab nur eine Möglichkeit, es ihr gleichzutun.
    Tess versetzte ihr einen Rippenstoß, so daß sie beide wieder in den Schnee rollten. Lachend und weißgepudert wie die Schneemänner blieben sie flach auf dem Rücken liegen, um Atem zu schöpfen, während große, schwere Flocken unaufhörlich auf sie herabschwebten.
    »Als ich noch ein Kind war, haben wir immer Adler in den Schnee gezeichnet.« Lily strich langsam mit ausgebreiteten Armen und Beinen über die glatte Oberfläche. »Einmal hat es sogar so stark geschneit, daß wir zwei Tage schulfrei bekamen. Meine Freunde und ich haben eine Schneeburg samt Rittern gebaut, und meine Mutter war davon so begeistert, daß sie sie fotografiert hat.«
    Tess blinzelte nach oben. Sie konnte den Nachthimmel durch das dichte Flockengestöber nicht mehr erkennen. »Als ich das erste und einzige Mal im Skiurlaub war, da ist mir sehr schnell klargeworden, daß der Schnee und ich niemals zueinander kommen werden.« Sie imitierte Lilys Bewegungen. »Im Moment finde ich ihn allerdings nicht ganz so furchtbar.«
    »Ich liebe Schnee.« Lily mußte lachen. »Aber ich bin halb erfroren.«
    »Du bekommst gleich einen großen Becher Kaffee mit einem ordentlichen Schuß Brandy.«
    »Wunderbar.« Immer noch lächelnd, setzte Lily sich auf. Doch plötzlich schlug ihr das Herz vor Schreck bis zum Hals,
und sie klammerte sich an Tess’ Hand. Sie sah eine schattenhafte Gestalt aus dem Schnee auftauchen und näher kommen. Es war ein Mann.
    »Sind Sie gestürzt?«
    Tess’ Kopf fuhr herum, das Blut rauschte ihr in den Ohren. Sie waren ganz auf sich gestellt, dachte sie voller Panik, und zu weit vom Haus entfernt, als daß man dort ihre Hilferufe hören konnte. Bilder des getöteten Rehs schossen ihr durch den Kopf, und sie begann heftig zu zittern.
    Wo war die Taschenlampe? Verzweifelt blickte sie erst nach rechts, dann nach links. Der Unbekannte hatte eine, und deren Lichtstrahl war stark genug, sie zu blenden, während er selbst nur als Silhouette zu erkennen war. Sie mußte fliehen, wollte aufspringen, wegrennen und Lily mit sich zerren, doch sie vermochte sich nicht zu rühren.
    »Sie sollten sich besser nicht allein hier draußen im Dunkeln aufhalten«, sagte der Mann und trat noch ein Stück näher.
    Schierer Überlebenswille trieb Tess zum Handeln. Sie raffte sich auf, packte einen Holzscheit und schwang ihn drohend in seine Richtung. »Bleiben Sie, wo Sie sind«, befahl sie mit fester Stimme, obwohl sie am ganzen Körper wie Espenlaub zitterte. »Lily, steh auf! Verdammt noch mal, steh endlich auf!«
    »Hey, ich wollte Sie nicht erschrecken.« Der Mann richtete die Lampe auf den Boden und ließ den Strahl über den Schnee tanzen. »Ich bin’s doch nur, Miß Tess, Wood. Billy und ich sind gerade zurückgekommen, und meine Frau meinte, Sie könnten vielleicht Hilfe brauchen.«
    Seine Stimme klang freundlich und überhaupt nicht bedrohlich, eher leicht belustigt. Doch sie und Lily waren alleine und vollkommen hilflos, und er

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