Der weite Himmel: Roman (German Edition)
es von Hand hinein; mit dem Schubkarren kommt ihr nicht durch den Schnee, und es hat keinen Sinn, den Weg freizuschaufeln, solange es so weiterschneit. Zieht euch warm genug an, und nehmt eine Taschenlampe mit.«
»In Ordnung.« Lily warf Tess einen Blick zu, der der Ärger im Gesicht geschrieben stand. »Ich kann das Holz auch alleine holen. Bleib du doch drinnen, du kannst es dann auf die Schlafzimmer verteilen.«
Der Vorschlag klang verlockend. Sehr sogar. Doch Bess’ verächtliches Lächeln veranlaßte sie, ihr Glas beiseite zu stellen. »Wir gehen beide.«
»Aber nicht mit diesen dünnen Handschuhen«, rief Bess ihnen nach. »Holt euch Arbeitshandschuhe aus dem Abstellraum, wenn ihr fertig angezogen seid.«
»Holz schleppen«, beschwerte sich Tess auf dem Weg zu dem großen Schrank in der Halle. »Wahrscheinlich reicht der Vorrat locker für die ganze Woche. Sie will mich nur piesakken, weiter nichts.«
»Sie würde uns nie bitten, bei diesem Wetter hinauszugehen, wenn es nicht nötig wäre.«
Tess schlüpfte achselzuckend in ihren Mantel. »Dich würde sie sicher nicht bitten«, berichtigte sie Lily, dann ließ sie sich auf der untersten Treppenstufe nieder, um ihre Stiefel anzuziehen. »Ihr zwei scheint euch ja hervorragend zu verstehen.«
»Ich finde sie großartig.« Lily schlang sich ihren gestrickten Schal zweimal um den Hals, bevor sie ihren Mantel zuknöpfte.
»Zu mir war sie immer sehr nett, und sie würde auch dir gegenüber wesentlich liebenswürdiger sein, wenn du …«
Tess zog eine Skimütze über die Ohren und nickte ihrer Schwester zu. »Du brauchst auf meine Gefühle keine Rücksicht zu nehmen. Sprich nur weiter. Wenn ich was?«
»Nun, du bist immer ziemlich schroff und kurz angebunden, wenn du mit ihr redest.«
»Vielleicht wäre das ja nicht der Fall, wenn sie mir nicht ständig irgendwelche idiotischen Arbeiten aufhalsen und sich dann auch noch darüber beschweren würde, daß das Ergebnis nicht ihren Vorstellungen entspricht. Ich werde mir Frostbeulen holen, während ich dieses verdammte Holz ins Haus schleppe, und sie wird meckern, daß ich es nicht richtig aufstapeln würde. Wart’s nur ab.«
Mißmutig stapfte sie durch die Halle, durchquerte die Küche, ohne Bess eines Wortes zu würdigen, und betrat den Abstellraum, wo sie ein Paar dicke, übergroße Arbeitshandschuhe überstreifte.
»Fertig?« Lily ergriff eine Taschenlampe und folgte ihr.
Als Tess die Tür öffnete, stach ihnen der Wind mit Tausenden von eisigen Nadeln ins Gesicht. Überrascht sahen sich die beiden an; es war Lily, die schließlich entschlossen den ersten Schritt ins Freie wagte.
Sie klammerten sich am Seil fest und kämpften sich mühsam vorwärts, doch der Wind tat sein Bestes, sie immer wieder zurückzudrängen. Die Stiefel versanken knietief im Schnee, und der Strahl der Taschenlampe tanzte flackernd auf und ab wie ein betrunkenes Glühwürmchen. Am Ende des Seils wären sie beinahe gegen den Holzstoß geprallt, der mit einer Plane bedeckt war.
Tess packte die Taschenlampe und streckte die Arme aus, damit Lily ihr die Holzscheite darauf stapeln konnte. Breitbeinig blieb sie stehen, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Als ihre Nasenspitze vor Kälte zu prickeln begann, biß Tess die Zähne zusammen. »Die Hölle hat nichts mit Feuer zu tun«, schrie sie. »Die Hölle ist der Winter in Montana.«
Lily lächelte leicht und belud sich ebenfalls mit Holz. »Wenn wir wieder drinnen am warmen Kaminfeuer sitzen, dann schauen wir aus dem Fenster und freuen uns an dem Schnee.«
»Blödsinn«, knurrte Tess, während sie sich auf den beschwerlichen Rückweg machten, um die erste Ladung Holz ins Haus zu bringen. »Wieviel liegt dir an einem warmen Bett?«
Lily warf sehnsüchtig einen Blick auf die gemütliche, von Essensdüften erfüllte Küche, dann sah sie in den tobenden Sturm. »Sehr viel.«
»Ja.« Seufzend rollte Tess ihre Schultern. »Mir auch. Also los, auf ein Neues.«
Nachdem sie den Vorgang dreimal wiederholt hatten, begann Tess, die körperliche Anstrengung zu genießen – bis sie ausrutschte und kopfüber mit dem Gesicht zuerst in eine tiefe Schneewehe fiel. Die Taschenlampe versank mit ihr in den weißen Fluten.
»Alles in Ordnung mit dir? Hast du dich verletzt?« In ihrem Eifer, Tess zu helfen, beugte sich Lily vor, verlor das Gleichgewicht, ruderte heftig mit den Armen und landete unsanft auf ihrem Hinterteil. Völlig außer Atem blieb sie einen Augenblick regungslos sitzen. Sie
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