Der Weltensammler: Roman (German Edition)
gleich, zeigte keine Verunsicherung. Ich bin viel gereist. Und ich bin wachsam, wenn ich reise. Ich kenne den Wert des Menschen. Sheikh Abdullah wunderte sich über die Beharrlichkeit dieses Mannes. Er entstammte offensichtlich einer begüterten Familie. Sein Selbstbewußtsein ließ darauf schließen, daß er behütet aufgewachsen war. Der Mensch denkt, sagte der Sheikh bedächtig, und Gott lenkt. Wahrlich, der Wunder sind viele. Ruhm und Ehre für jene, deren Wissen sie alle umfaßt. Wenn du nun mein Dromedar loslassen würdest, ungern wäre ich der letzte in der Karawane. Wir werden uns heute abend gewiß wiedersehen, Sheikh. Wie die anderen vor ihm, ritt er wenig später einen Saum von Palmen entlang, der sich wie eine triumphale Allee ins Nichts erstreckte. Am nächsten Abend würden sie Suez erreichen, das Meer. Dort, spürte der Sheikh, würde die Hadj wirklich beginnen.
Im Monat von Rabi al-Awwal des Jahres 1273
Möge Gott uns seine Gunst und Gnade erfahren lassen
MOHAMMED: Ich hatte ihn von Anfang im Verdacht. Wer so viel herumgekommen ist wie ich, der riecht einen Hochstapler gegenden Wind. Sie müssen wissen, ich kenne Istanbul, ich war in Basra, ich bin bis nach Indien gereist, und dieser Mann behauptete, aus Indien zu stammen. Etwas an ihm hat mich sofort stutzig gemacht.
GOUVERNEUR: Was denn? Etwas genauer bitte!
MOHAMMED: Nichts Bestimmtes, ein Gefühl, eine Vermutung. Er war irgendwie anders, er beobachtete alles, unauffällig, aber mir ist es aufgefallen, er sprach stets langsam, vorsichtig. Wie ein weiser Mann, so ist es manchen der anderen vorgekommen, aber ich dachte mir, der gibt teuflisch acht, ja nichts Falsches zu sagen.
KADI: Basiert dein Verdacht nur auf solchen Mutmaßungen?
MOHAMMED: Das war doch nicht aus der Luft gegriffen. Sie werden sehen, wie recht ich hatte.
SHARIF: Zur Klärung: Der Name deines Vaters deutet darauf hin, daß deine Familie nicht aus Mekka stammt?
MOHAMMED: Wir stammen aus Ägypten, aber wir sind schon lange hier, einige Generationen, wir sind richtige Mekkaner.
KADI: Etwas mehr Bescheidenheit, junger Mann. Die Familie des Sharifs ist in dieser Stadt seit den Tagen von Qusayr angesiedelt. Einige Generationen, die zählen fast nichts.
GOUVERNEUR: Lassen wir ihn weitererzählen, bitte.
MOHAMMED: Beim ersten gemeinsamen Gebet habe ich mich genau hinter ihn gestellt. Um ihn besser beobachten zu können. Ich weiß, die Bekehrten, die machen noch Jahre später Fehler. Wenn er uns etwas vormachte, ich würde es an seinem Gebet merken.
GOUVERNEUR: Und?
MOHAMMED: Nein, nichts, leider nicht. Er muß gut gelernt haben. Das ist doch möglich, oder?
KADI: Was soll möglich sein?
MOHAMMED: Das Gebet in allen Einzelheiten zu lernen und es blindlings vorzuführen.
KADI: Es gibt viele Arten, sich in Gefahr zu begeben. Das Gebet zu mißbrauchen, ist eine davon.
MOHAMMED: Ich habe keines meiner Gebete ausgelassen, und mirist ganz sicher auch kein Fehler dabei unterlaufen. Ist es etwa nicht meine Pflicht, Frevler und Heuchler zu entlarven, wenn ich ihnen begegne?
GOUVERNEUR: Du hast gut daran getan. Aber nun mußt du uns etwas mehr berichten. Bislang hast du uns nicht gerade überzeugen können, daß du Sheikh Abdullah als Frevler und Heuchler entlarven konntest.
MOHAMMED: Wieso befragen Sie mich dann? Würden Sie Ihre wertvolle Zeit sonst verschwenden? Nein! Sie wissen, so gut wie ich, daß er falsch ist. Aber er war gerissen, gerissen, wie die Inder nun mal sind. In Suez, wir waren viele in einem Zimmer, schrecklich eng war es, alle waren schlechtgelaunt, weil wir viele Tage auf das Boot warten mußten, er aber, er hat die Zeit gut genutzt. Er hat den anderen großzügig Geld geliehen. Sie waren nämlich Geizhälse, knorziger geht es gar nicht. Kaum hatten sie einige Münzen von ihm erhalten, wurden sie ganz zärtlich und herzlich. Sie lobten ihn über den Klee. Sie schenkten ihm Süßigkeiten. Sie haben ihm schöne Worte gemacht, selbst wenn er nicht im Zimmer war, umschmeichelten sie ihn. Dieser Sheikh Abdullah, was für ein großer Mensch, was für ein wunderbarer Mann. Sie haben sich sogar gestritten, wer von ihnen ihn in Medina beherbergen durfte.
KADI: Und du, hast du kein Geld von ihm geschenkt bekommen?
MOHAMMED: Wenig, einige Piaster nur, wie hätte es ausgesehen, wenn ich mich als einziger seiner Großmut verweigert hätte? Das hätte doch sein Mißtrauen geweckt! Aber ich habe mich davon nicht einlullen lassen. Darlehen hin oder her, ich
Weitere Kostenlose Bücher