Der Weltensammler: Roman (German Edition)
habe die Augen offengehalten. Eines Abends, da finde ich in seiner Truhe, er hatte vergessen, sie abzuschließen, ein Instrument. Ein Gerät, das kein Derwisch aus Indien mit sich herumträgt, das wußte ich genau. Es war ein seltsames Teil, das ich noch nie gesehen hatte. Irgendein Teufelszeug. Ich habe jemanden gefragt, der es wissen mußte.
GOUVERNEUR: Was war es?
MOHAMMED: Ein Sextant.
KADI: Was mag das sein?
MOHAMMED: Ein sehr kompliziertes Gerät, damit werden die Sterne vermessen. Auf einem Schiff soll es nützlich sein, aber der Sheikh war kein Steuermann, sondern ein heiliger Mann – angeblich. Ich habe gewartet, bis er das Zimmer verließ, dann habe ich den anderen gesagt, daß Sheikh Abdullah ein Ungläubiger ist.
GOUVERNEUR: Davon wissen wir nichts.
MOHAMMED: Die anderen haben mir nicht geglaubt. Ich habe nur einen Fehler begangen, ich hatte nicht einmal im Traum daran gedacht, daß sie sich der offenkundigen Wahrheit verschließen würden, daß er ein Ungläubiger war. Ich hatte erwartet, daß wir gemeinsam beraten würden, wie wir gegen ihn vorgehen. Statt dessen haben sie mich angegriffen. Lauter erbärmliche Opportunisten.
In Suez hält man sich nur aus Notwendigkeit auf. Es scheint Sheikh Abdullah, als schlage die Zivilisation zurück in diesem aus allen Gassen und Katen platzenden Dorf, das Tausende von Pilgern unterzubringen hat. Nichts ist schlimmer als halbfertige Besiedlung. Und wo könnte es unbequemer sein, als in dieser Herberge, die keinen Komfort bietet außer einem Dach über dem Kopf. Da es nicht regnet, ist dieses von geringem Nutzen. Es wäre besser, in der Gosse zu übernachten, als zwischen diesen schmutzgereiften Wänden. Auf einem Boden voller Ritzen, in dem sich Kakerlaken, Spinnen, Ameisen und anderes Gekriech eingenistet haben. Einfache Herbergen ist er aus der Kindheit gewohnt. Wenn sie wieder einmal umziehen mußten, weil sein Vater es nicht aushielt in einem italienischen Städtchen oder einem französischen Kurort. Aber nirgendwo ist ihm eine solche Widerwärtigkeit aufgezwungen worden. Am unerträglichsten sind die Geräusche: die turtelnden Tauben im offenen Schrank, vor lauter Liebesmühe stockheiser und kratzbürstig, die gewaltigen Katzen, die durch den Dachstuhl jagen und vor unerschöpflicher Geilheit jaulen. Selbst herumstreunende Ziegen und Maulesel kommen herein. Erst wenn die Viecher einer der Gestalten auf dem Bodenzu nahe treten und einen Schlag versetzt bekommen, ziehen sie sich widerwillig zurück. Zu allem Überfluß summen die Moskitos ein allnächtliches Stabat mater über den ausgestreckten Leibern. Über seinem herben Halbschlaf.
Die Zimmer mußten mit anderen Reisenden geteilt werden. Am ersten Tag stellten sie sich vor und beäugten einander mißtrauisch. Hamid al-Samman, ein sehr breiter Schnurrbart, eine leise Stimme, die es gewohnt war, daß man ihr zuhörte; Omar Effendi, ein rundliches Gesicht und ein ausgemergelter Körper; Saad, nur Saad, der dunkelste Mann, den Sheikh Abdullah je gesehen hat; Salih Shakkar, ungewöhnlich hellhäutig und affektiert. Am zweiten Tag verrauchten sie die Zeit und lernten sich kennen. Die Männer stammten aus Medina, abgesehen von Salih Shakkar, der in Mekka und Istanbul beheimatet war, den zwei Metropolen der Welt, wie es sich für einen Großbürger ziemte. Sheikh Abdullah war als einziger unter ihnen auf Hadj. Omar Effendi war von zu Hause geflohen, als sein Vater ihn verheiraten wollte, obwohl er nie einen Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr er die Frauen verachtete. Er hatte sich bis nach Kairo durchgeschlagen und sich dort an der Al-Azhar-Universität als Bettelstudent eingeschrieben. Die anderen waren allesamt Händler, sie kannten die Welt und beurteilten ihr Gegenüber nach dem, was er von ihr zu berichten wußte. Saad war weit gereist, bis nach Rußland, Gibraltar und Bagdad. Salih kannte Stambul wie seinen eigenen Hinterhof. Hamid war die Levante vertraut, er konnte in jedem Hafen eine Karawanserei empfehlen.
Am dritten Tag öffneten sie ihre Kisten und gaben ihre Wertsachen zur Begutachtung frei. Manchmal vernarrte sich der junge Mohammed in eine Kostbarkeit und ließ sie durch seine Finger gleiten, bis er laut zur Rückgabe aufgefordert werden mußte, was keinen mehr ärgerte als Hamid, der bevorzugt auf seiner Kiste saß, vollgepackt mit Geschenken für die Tochter seines Onkels väterlicherseits, mit anderen Worten für seine Ehefrau. Jenseits der großen Kiste war Hamid
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