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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Ramadan des Jahres 1273
    Möge Gott uns seine Gunst und Gnade erfahren lassen
     
    GOUVERNEUR: Das ist inakzeptabel. Sie überschätzen sich. Wir werden Sie zwingen, diese Fatwa zurückzunehmen.
    SHARIF: Wir können, ich bin zuversichtlich, einen Kompromiß ausarbeiten, der beiden Seiten …
    GOUVERNEUR: Alle Verwünschungen Gottes über Ihre faulen Kompromisse.
    KADI: Wir werden unser gerechtes Urteil nicht dem Willen eines Pharaos unterwerfen.
    GOUVERNEUR: Sie reden im Wahn. Sie zweifeln das Recht des Kalifen an.
    KADI: Auch er untersteht den Gesetzen Gottes.
    SHARIF: Sie müssen versuchen zu verstehen, Abdullah Pascha, bei mir haben sich, wie auch beim Kadi, alle führenden Händler der Stadt beschwert. Keiner von ihnen billigt Ihre Maßnahmen.
    GOUVERNEUR: Aus selbstsüchtigen Gründen.
    SHARIF: Sie befürchten die völlige Abschaffung der Sklaverei.
    GOUVERNEUR: Sie wissen genau, daß nur der Sklavenhandel verboten worden ist.
    SHARIF: Ohne Sklavenhandel kann es langfristig keine Sklavenhaltung geben.
    GOUVERNEUR: Selbst wenn wir unterschiedlicher Ansicht sind, der Kadi kann doch nicht öffentlich verkünden, mit diesem Erlaß seien die Türken zu Ungläubigen geworden.
    KADI: Was wollen Sie noch einführen? Glauben Sie, wir kriegennicht mit, was anderswo geschieht? Wenn wir uns nicht wehren, was werden Sie noch alles verbieten, welche unsäglichen Neuerungen erlauben? Wird demnächst statt des Azaans eine Gewehrsalve abgefeuert? Werden sich die Frauen unverhüllt in der Öffentlichkeit zeigen dürfen, werden sie das Recht erhalten, die Scheidung auszusprechen?
    GOUVERNEUR: Sie übertreiben maßlos. Nur der Sklavenhandel ist verboten worden.
    KADI: Wieso?
    SHARIF: Ich habe so meine Vermutungen, daß der Kalif unter Druck steht, weil die Farandjah ihren Teil der Abmachung einfordern, nachdem sie ihm geholfen haben, den Krieg gegen Moskau zu gewinnen.
    KADI: Was in Istanbul geschachert wird, kann nicht Maßstab sein für das Wohl der heiligen Stätten.
    GOUVERNEUR: Sie können sich dem Lauf der Geschichte nicht verschließen.
    KADI: Lauf der Geschichte? Selbst wenn es so etwas gäbe, müßten wir uns dem widersetzen. Wenn es so weitergeht, werden sich eines Tages Ungläubige im Hijaz niederlassen, sie werden Moslems heiraten und schließlich den gesamten Islam unterwandern.
    GOUVERNEUR: Das erledigen die Araber schon selbst. Sie leben ohne Ehre. Sie respektieren nicht den Kalifen. Wir versuchen es im Guten, und was geschieht? Wir zahlen den Stammesführern Abgaben in Korn und Stoff, und sie bewaffnen ihre Leute und führen Überfälle auf die Karawanen aus.
    SHARIF: Etwas unbedacht Ihrerseits, den eigenen Feind zu füttern.
    KADI: Seit sie unser Land erobert haben, gibt es keine Gerechtigkeit mehr. Sie ernten nun, was sie eingeführt haben. Wenn ein Räuber gefaßt wird, trauen sie sich nicht, ihn köpfen zu lassen. Das sendet Signale. Sie haben Willkür zum obersten Richter ernannt.
    GOUVERNEUR: Die Hadj ist sicherer geworden, und wenn wir geeint wären in unseren Bemühungen, könnten wir die Herrschaft des Friedens auch den Beduinen im Landesinneren aufzwingen.
    SHARIF: Wir unterstützen Sie doch, so gut wir können, aber unssind die Hände gebunden, Sie dürfen nicht übersehen, daß wir nicht mehr soviel Einfluß haben wie früher.
    GOUVERNEUR: Was soll sich denn geändert haben?
    SHARIF: Das Schiff ist ein Feind, mit dem wir nicht gerechnet haben. Was waren das für glorreiche Zeiten, über die meine Vorfahren gewacht haben, mit sechs Karawanen, und Völkerscharen, die ihren Herrschern auf Pilgerschaft folgten. Wissen Sie, daß der letzte der Abbasiden mit hundertdreißigtausend Tieren am Berg Arafah kampierte? Und heute, wo stehen wir heute, es ist jämmerlich. Nur noch drei Karawanen erreichen unsere Stadt, möge Gott sie heiligen, mit nur einigen zehntausend Pilgern, und die Karawanen aus Istanbul und Damaskus, das sind bald Karawanen der Zeremonie. Wenn es so weitergeht, werden wir bald nicht mehr über das Geld verfügen, unseren Pflichten nachzukommen.
    KADI: Ihre Armut wäre vielleicht ein Segen. Dann würden die Wahhabi nicht mehr von all den Schätzen angelockt werden.
    SHARIF: Die Wahhabi würden versuchen, uns zu unterwerfen, selbst wenn wir alle in Fetzen gekleidet wären.
    GOUVERNEUR: Übertreiben Sie nicht Ihre Not? Sie erhalten doch ein Viertel der Abgaben. Und wenn ich mich nicht irre, bringen jene, die mit dem Schiff anreisen, Geschenke mit für die Große Moschee, möge Gott sie ehrenvoller

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