Der Weltensammler: Roman (German Edition)
und erhabener machen. Und was ist mit den Lizenzen, die Sie den Führern erteilen, ist das etwa kein einträgliches Geschäft mehr? Der Sultan ist gar nicht so glücklich über die weitreichenden Rechte, über die Sie noch immer verfügen.
SHARIF: Wenn Ihre Soldaten wenigstens die Wege sicherhalten könnten. Die Karawanen werden so oft ausgeraubt, es ist, als würden wir Eiswürfel durch die Wüste transportieren. Für uns bleiben nur noch einige Tropfen übrig.
KADI: Wir müssen den Glauben erneuern. Wenn die Renegaten die Welt regieren, müssen wir zu dem Weg des reinen Gehorsams zurückfinden.
GOUVERNEUR: Genug palavert. Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen, die unser Sultan sehr schätzt. Ein Löwe, ein Wolf und ein Fuchs gehen gemeinsam auf die Jagd. Sie erlegen einen Wildesel,eine Gazelle und einen Hasen. Der Löwe bittet den Wolf, die Beute zu verteilen. Der Wolf zögert nicht: Der Wildesel geht an dich, die Gazelle an mich und der Hase an unseren Freund, den Fuchs. Der Löwe holt aus und schlägt mit einem Hieb seiner Tatze dem Wolf den Kopf vom Leib. Dann wendet er sich an den Fuchs und sagt: Du wirst jetzt die Beute aufteilen. Der Fuchs verbeugt sich tief vor dem Löwen und sagt mit sanfter Stimme: Eure Majestät, die Aufteilung ist denkbar einfach. Der Wildesel wird euer Mittagessen sein, die Gazelle euer Abendessen. Und was den Hasen betrifft, so wird er euch als Leckerbissen zwischen den Mahlzeiten sicher willkommen sein. Der Löwe nickt zufrieden: Was für einen Takt und Wohlverstand du an den Tag legst. Sag, wer hat dir das beigebracht? Und der Fuchs antwortet: Der Kopf des Wolfes.
Am Tage sind die Farben in der Wüste wie weggewischt, und die Wüste ist in Mekka, trotz der hohen Bauten und der engen Gassen. Kurz ist der Übergang zur Nacht, bei dem die Wiederkehr der Farbnuancen mit der Kargheit des Tages versöhnt. Es scheint Sheikh Abdullah, der sich einen guten Platz unter den Kolonnaden ausgesucht hat, als wäre ein Farbfächer aus der Hand einer ganz in Weiß gekleideten Gestalt gefallen. Und er staunt über die verschiedenen Weißtöne, die er auf einmal in den Ihrams entdeckt. Wenig später werden Fackeln angezündet, die Große Moschee erstrahlt, und der Himmel schwärzt sich ein. Die Gebete, die ihn umgeben, wirken ansteckend. Er möchte sich auch versenken, nur weiß er nicht, worin. Bei der Rezitation des Korans stolpert er immer wieder über seine Gedanken nach dem Sinn der Sure. Er versucht zu beten, aber bricht bald ab, weil ihm klar wird, daß er das Gebet nur als gemeinschaftlichen Akt akzeptieren kann. Es kann sich nicht zum einsamen Gebet zwingen. Er richtet sich auf und sucht eine erhöhte Stelle, von der aus er über die Köpfe der Kreisenden auf die Kaaba blicken kann. Wenn schon die Zunge sich den Gebeten verweigert, wird er mit den Augen beten. Die Menschheit rotiert um den vermeintlichenKern, in einem gleichmäßigen Tempo, als stünde sie auf der Töpferscheibe Gottes. Er könnte dieses Drehen stundenlang betrachten. Mal scheint es ihm ein Perpetuum mobile der Hingabe, mal ein blinder Tanz.
Er fühlt sich von diesem Ort aufgenommen. Zur Ruhe gebettet. Wie ausgehebelt von allen Fallen und Stricken des Lebens. Er ist in al-Islam hineingewachsen, schneller als erwartet, er hat Buße und Entbehrung übersprungen und gleich Eingang in diesen Himmel gefunden. Keine andere Tradition hat eine so schöne Sprache für das Unsagbare geschaffen. Von dem Gesang des Korans bis hin zu den Dichtungen aus Konya, Bagdad, Shiraz und Lahore, mit denen er begraben werden möchte. Gott ist im Islam aller Eigenschaften enthoben, und das erscheint ihm richtig so. Der Mensch ist befreit, keiner Erbsünde untertan und dem Verstand anvertraut. Natürlich ist diese Tradition wie alle anderen kaum in der Lage, den Menschen zu bessern, den Gebrochenen aufzurichten. Aber in ihr läßt es sich stolzer leben als in den schuldbeladenen, freudlosen Niederungen des Christentums. Wenn er glauben könnte, an die Details der Tradition – an das Allgemeine zu glauben ist nicht nötig, das ist die höchste Erkenntnis –, und wenn er sich frei entscheiden könnte und wenn er sich frei bedienen dürfte, so würde er sich für den Islam entscheiden. Aber es ist nicht möglich, zuviel steht im Wege – das Gesetz seines Landes, das Gesetz von al-Islam und seine eigenen Bedenken –, und in Augenblicken wie diesem bedauert er es. Er genießt das Paradies, das ihn umgibt, aber ein Leben nach dem Tod
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