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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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vernachlässigtwerden, sie erhielten keine Unterstützung, es würde nichts für ihre Sicherheit getan werden.
    KADI: Was sollte denn getan werden, seiner Meinung nach?
    SALIH: Es sei nicht ausreichend, die Brunnen auszubessern. Die armen Pilger müßten kostenlosen Zugang zu ihnen erhalten. Es sei ein Verbrechen, daß Wasser an den Brunnen verkauft werde, und daß jene, die kein Geld haben, von den Wachen weggejagt würden. Kein Mensch dürfe durstig und hungrig bleiben.
    KADI: Gesprochen wie ein wahrer Moslem.
    SALIH: Die vielen Kranken und Sterbenden am Wegrand, die haben ihn sehr beschäftigt, ich erinnere mich, weil ich ihn fragte, ob es denn in seinem Indien keine Leidenden gebe, und er antwortete mir, daß es durchaus die Ärmsten der Armen gebe und daß sie zahlreicher seien, daß aber die Herrscher – weder die britischen Oberen noch die indischen Könige – jemals daran geglaubt hätten, die Menschen seien gleich. Im Land des rechten Glaubens jedoch, zudem in Nachbarschaft des Hauses Gottes, seien diese Zustände fast schon blasphemisch.
    KADI: Starke Worte. Gewagte Worte. Es gibt unter den jungen Ulema einige, die Ähnliches verkünden.
    GOUVERNEUR: Vermuten Sie einen Zusammenhang?
    KADI: Nein, es ist leicht nachzuvollziehen, wie jemand auf diesen Weg gelangt und auf ihm zum schlüssigen Ende schreitet.
    SHARIF: Fahren Sie fort.
    SALIH: Er meinte, es müßten Hospitäler errichtet werden, ein halbes Dutzend zwischen Mekka und Medina allein. Ebenso öffentliche Herbergen, in ausreichender Zahl. Das würde nicht viel kosten, so hat er behauptet.
    GOUVERNEUR: Billig ist es für jene, die das Geld nicht ausgeben müssen.
    KADI: Was noch?
    SALIH: Die Verschwendung war ihm ein Dorn im Auge, er führte gerne den Satz im Munde: Gott verachtet die Maßlosen.
    GOUVERNEUR: Was noch, was hat er noch auszusetzen gehabt?
    SALIH: Die Krankheiten …
    GOUVERNEUR: Krankheiten?
    SALIH: Ja, er war ein Arzt, das wissen Sie bestimmt.
    GOUVERNEUR: Das ist interessant, was hat er über die Krankheiten gesagt?
    SALIH: Er behauptete, die Pilger müßten schon bei ihrer Ankunft in Djidda oder in Yambu von offizieller Seite medizinisch untersucht werden, es müsse dafür gesorgt werden, daß überall ausreichend Wasser vorhanden ist, damit reinliche Verhältnisse herrschen. Die Kranken müßten sofort von den anderen Pilgern ferngehalten werden, und die Leichen und Kadaver müßten schnell weggeräumt werden. Und vieles mehr in dieser Richtung, an das ich mich nicht in allen Einzelheiten erinnere. Wie gesagt, es ist schon einige Jahre her.
    GOUVERNEUR: Sehr interessant. Ich danke Ihnen, Sheikh Salih Shakkar. Wir werden Sie für Ihre Mühen entschädigen. Sie dürfen jetzt gehen.
    SHARIF: Was war daran so interessant?
    GOUVERNEUR: Der Wesir hat mir in seinem letzten Brief seine Sorge mitgeteilt, daß die Briten und Franzosen die Gefahr von Krankheiten als Vorwand benutzen werden, um ihre Interessen in dieser Region durchzusetzen. Sie haben schon behauptet, daß Seuchen, die von der Hadj ausgehen, sich in ihren Ländern gefährlich ausbreiten, daß Mekka, Gott möge sie erhöhen, die Quelle vieler Infektionen sei und daß die Hadjis diese Ansteckung in alle Erdteile trügen.
    KADI: Womit sie nicht ganz unrecht haben. Die Cholera ist zu einem treuen Begleiter der Hadj geworden.
    SHARIF: Und wer hat sie angeschleppt, von woher ist sie gekommen, diese Cholera? Aus Britisch-Indien, wir haben diese Krankheit früher nicht gekannt. Heute kommen manche der Pilger krank an, andere sind stark geschwächt, die Schwachen stecken sich bei den Kranken an, und daran soll Mekka, Gott möge sie erhöhen, schuld sein.
    GOUVERNEUR: Die Briten haben schon mehrfach behauptet, sie hätten ein Recht, aufgrund dieser gesundheitlichen Bedrohung in Djidda zu intervenieren.
    SHARIF: Könnten ihre Kenntnisse uns nicht von Nutzen sein, wennwir sie nicht sofort ablehnen, nur weil sie von Ungläubigen stammen? Immerhin geht es um das Wohl unserer kranken Brüder und Schwestern.
    GOUVERNEUR: Ich weiß, wie gerne Sie sich mit den Farandjah arrangieren würden. Sie bilden sich ein, Sie könnten dadurch Ihre Unabhängigkeit bewahren. Sie irren sich gewaltig! Die Briten würden Sie und all Ihre Privilegien schlucken. Sollte deren Gesandter Ihnen wohlgesinnt sein, würden Sie eine kleine Entschädigung erhalten, ein bescheidenes Gefolge und eine belanglose Aufgabe. Von Ihrem prächtigen Palast in Maabidah würden Sie sich bald verabschieden müssen.
    SHARIF: Wie reden

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