Der Weltensammler: Roman (German Edition)
getrunken.
MOHAMMED: Ich wußte es.
GOUVERNEUR: Es ist nicht so einfach, leider. Dieser Mann hat offensichtlich so viele Stärken, daß seine Schwächen ihn nie gänzlich entlarven. Du darfst jetzt gehen, junger Mann. Du hast Gott und deinem Herrscher gut gedient. Wir werden dich entsprechend belohnen.
GOUVERNEUR: Übrigens, stimmt es, daß Saad, der Neger, wieder verhaftet worden ist?
SHARIF: Wir wissen nicht, was wir mit ihm machen sollen; ich fürchte, sein Verstand ist zu sehr durcheinandergeraten. Die Wachen haben ihn in der Großen Moschee aufgegriffen, weil er die Kaaba ohne Unterlaß umrundete, bei Tag und bei Nacht, was übertrieben ist, aber für sich genommen nicht so schlimm wäre,aber bei jedem Schritt hat er geschrien wie eine Bestie: Ich habe mich an der Wahrheit vergriffen, schrie er, ich bin kein Mann mehr, das schrie er immer wieder. Niemand konnte ihn von diesem Verhalten abbringen, das wirklich unangebracht ist, es hat auch die anderen Pilger gestört. Er schrie mit einem Schmerz, berichtete mir Hoheit Sheikh al-Haram, und ich kann Ihnen sagen, das Oberhaupt der Eunuchen war sehr erregt, der Schwarze schrie mit einem Schmerz, als habe er die Hölle gesehen.
Heute, sagte Mohammed nach dem Morgengebet zufrieden, heute werden wir den Teufel steinigen. Die Steine, die sie in der Nacht zuvor aufgesammelt hatten, lagen in Häufchen zu je sieben vor ihnen, und Sheikh Abdullah mußte ein Schmunzeln verbergen, als ihm auffiel, daß die von Mohammed zusammengetragenen Geschosse von übereifriger Größe waren. Es war ihm von Anfang an schwergefallen, die Lapidation des Beelzebubs ernst zu nehmen. Mit diesem Brauch war die Klarheit der Rituale entschwunden, sie befanden sich auf einmal im Kuddelmuddel einer Kirmes, mit einem Schießstand als Hauptattraktion, wo einem sieben Würfe auf einen steinernen Pferdefuß gewährt wurden. Verliere sie nicht auf dem Weg, und wenn doch, hebe ja nicht Steine auf, die von anderen schon geworfen worden sind, belehrte ihn Mohammed. Das hat so zu sein, weil schon einmal verwendete Steinchen dem Teufel nicht weh tun können, dachte sich Sheikh Abdullah, blickte Mohammed aber mit den unverschleierten Augen eines Strebers an. In den zwölf Monaten zwischen zwei Pilgerzeiten, da laden sie sich wieder auf, die Steinchen, denn es ist nicht vorstellbar, daß jedes Jahr jungfräuliche Steine zum Einsatz kommen. Selbst in der Wüste ist der Vorrat an Steinen endlich. Stelle sicher, fuhr der junge Einpeitscher fort, daß du die Säule mit jedem deiner Würfe triffst. Halte die Steine so zwischen den Fingern … Sheikh Abdullah verspürte – noch bevor er ihm in dem bösartig engen Tal von Mina begegnet war – fast ein wenig Mitleid mit diesem Teufel, dessen Rumpf alljährlich von Hunderttausenden von Steinen traktiert wurde. Aber da der Teufel ausFelsgestein bestand, traf Gleiches auf Gleiches, so daß keine grundsätzliche Veränderung drohte. Das Gleichgewicht der Kräfte blieb erhalten, mit den Steinen konnte der Teufel so wenig getroffen werden wie die Wüste mit einer Handvoll Wasser befruchtet werden konnte. Laß uns endlich gehen, sagte er voller Eifer, und Mohammed belohnte ihn mit einem zufriedenen Blick.
Weil Mohammed sich als Pilger pedantisch genau an die Zeitvorgaben hielt, gerieten sie bald nach dem Aufbruch in eine Menschenlawine – später sollte Sheikh Abdullah erfahren, daß jene, die zwischen Gott, dem Teufel und sich selbst Kompromisse aushandelten, früher als vorgeschrieben zur Steinigung aufbrechen oder mitten in der Nacht aufstehen, um bei Mondfrieden ihrer Aufgabe gerecht zu werden. Solch eine Übertretung wäre mit Mohammed undenkbar; insgeheim, so vermutete Sheikh Abdullah seit längerem, wanderte auch er gelegentlich durchs Gebüsch der Kompromisse. Ein Mann versperrte ihnen den Weg, ein schmalgesichtiger Mann, dem die Ekstase aus den Augen sprang. Er packte Sheikh Abdullah am Arm und schüttelte ihn. Du kannst dir die Mühe sparen, Bruder, ich habe dem Teufel schon die Augen ausgestoßen. Auch der blinde Shaitan, erwiderte Sheikh Abdullah, brütet gefährliche Verführungen aus, genauso wie ein blinder Mensch nicht vor Verfehlungen gefeit ist. Du hast es mit einem großen Derwisch aus Indien zu tun, fügte Mohammed hinzu, er hält sich den Shaitan mit seiner Weisheit vom Leibe. Beide Augen, schrie der Mann, beide Augen! Und er verging in der Masse.
Die Hadjis glichen einer Lawine, die ins Tal kracht, als sie sich der Säule näherten
Weitere Kostenlose Bücher