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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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für eine Rarität im Orient. Die erste halbe Stunde laufen sie schweigend nebeneinander, Burton mit langen Schritten, Bombay in einer höheren Frequenz. Er bedaure, eröffnet Burton das Gespräch, daß er Kisuaheli nicht ausreichend beherrsche, um sich in der Sprache von Sidi Mubarak Bombay unterhalten zu können. Es ist nicht meine Sprache, sagt Bombay, meine Sprache ist verlorengegangen. Bombay schmunzelt freundlich. Wenn seine Gesichtszüge sich in Bewegung setzen, egal in welche Richtung, verlassen sie den Hafen der Häßlichkeit. Es ist, als würde Bombay mit jedem Lächeln sein Gesicht reparieren. Abgesehen von seinem Gebiß – die Zähne sind zur ewigen Fäulnis verdammt. Er ist ein untersetzter Mann, ein ungewöhnlicher Kerl, unter diesen Leuten. Einer, dem die müßiggängerische Natur irgendwo auf einer seiner Reisen durch die Fremde abhanden gekommen ist. Natürlich, Sklaverei ist eine unschöne Sache, eigentlich untragbar, aber ohne sie wäre Sidi Mubarak Bombay einer dieser dumpfen Gestalten geblieben, die am Wegrand hocken und sich gerade einmal einen müden Gruß abringen.
     
     
     
    SIDI MUBARAK BOMBAY
    Es gibt Fragen, die drängen sich vor, Fragen, die ihre Neugier mit sich schleppen wie Feuerholz. Woher kommt ihr? Das war leicht zu beantworten. Aus Sansibar, von der Küste, aus Bagamoyo. Aber auf Fragen folgen immer wieder weitere Fragen, das ist ein Pfad, der kein Ende findet, und schon auf die zweite Frage wußten Bwana Burton und Bwana Speke keine rechte Antwort: Wohin geht ihr? Im Schatten jedes Mbuyu und jedes Mtumbwi und jedes Myombo begegnete uns diese Frage, sie flatterte auf wie ein Vogelschwarm, der erschreckt worden ist, sie folgte dem Gruß so selbstverständlich wie die nächste Welle, so sicher wie der Kazi auf den Kazkazi. Es gibt Fragen, die sind wie kläffende Hunde, und es gibt Fragen, die sind wie eine Dornenspitze, die sich in die Haut bohrt und sich nicht herausziehen läßt, Fragen, die einem keine Ruhe lassen.
    – Fragen der Frauen an ihre Männer.
    – Wenn du die Geschichte fortführen möchtest, Baba Burhan, so führe du sie fort.
    – Nein, nein, ich ergänze sie nur, so wie die Ohren die Zunge ergänzen.
    – Wenn ihr euch beide zu Ende ergänzt habt, dürfen wir hören, wie es weitergeht?
    – Weißt du das nicht, Baba Ali? Bist du erst vor kurzem in dieses Viertel gezogen?
    – Die Geschichte hat jedesmal eine etwas andere Gestalt.
    – Woher kommt ihr? Wohin geht ihr? Das waren die Fragen, die im Schatten jedes Mtumbwi und jedes Myombo auf uns warteten. Was für einfache Fragen, werdet ihr sagen, selbst Kinder wissen, wohin sie gehen. Zumindest wissen sie, wohin sie gehen wollen.
    – Kinder können so eine Frage beantworten, gewiß, aber Erwachsene?
    – Zum großen See! So antworteten die Wazungu, wenn sie überhaupt eine Antwort gaben, aber die Fragenden kannten keinen großen See, und jene, die von einem großen See gehört hatten, die konnten nicht glauben, wie jemand mit hundert Trägern und zwanzig Soldaten durch das Land ziehen kann, sich allen Gefahren des Waldes aussetzen kann, nur um den großen See zu erreichen. Was wolltihr von diesem See? fragten sie als nächstes. Wir wollen nichts von dem großen See, antwortete Bwana Burton, wir wollen ihn nur mit eigenen Augen sehen, weil wir wissen wollen, wo er liegt und wie groß er ist. Die Menschen im Schatten des Mbuyu, des Mtumbwi, des Myombo, sie schüttelten den Kopf, sie wußten das Gesicht einer Lüge zu erkennen, und ihr Mißtrauen schwoll an. Diese Fremden, murmelten sie, hegen keine guten Absichten, diese Fremden sind gekommen, zischten sie, unser Land zu rauben. Sie hatten Angst, oh ja, sie fürchteten sich vor uns, noch mehr aber fürchteten sie sich vor den Folgen unserer Ankunft. Diese Fremden werden Unglück bringen! In einem der Dörfer starb ein Mann, kurz nachdem wir unser Lager aufgebaut hatten, ein junger Mann, der am Tag zuvor noch auf seinem Feld gearbeitet hatte. Seht ihr, klagten die Menschen, gesteht, dies ist das erste Unglück, das eure Ankunft auf das Land geladen hat. So klagten sie, und in ihrer Klage verschwand allmählich ihre Angst, und Bwana Burton war gut beraten, als er uns am nächsten Morgen zum Aufbruch drängte. Außerhalb der Dörfer begleiteten uns nur die Kinder, sie liefen neben uns her, sie riefen ›Mzungu‹ ›Mzungu‹, sie riefen ›Wazungu‹ ›Wazungu‹, sie lachten und schwenkten ihre Arme. Was bedeutet ›Mzungu‹? fragte mich Bwana Burton. Derjenige,

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