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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Schritte, bis er alles ignoriert außer jene Kieselsteine, Dornen, Blätter, die unter seinen Stiefeln knirschen und rascheln, winzige Markierungen des Weges, die der Öde ein sich wandelndes Gesicht geben, marginale Veränderungen, auf die er achtet, um auf irgend etwas zu achten, auf die fauligen Früchte, die von den Ästen gefallen sind, die nicht ganz rund und nicht ganz gelb sind, zermatscht, verrottet, braunfleckige Früchte, von denen ein penetranter Geruch der Fermentierung ausgeht.
    In den ersten Wochen mistet er im Leerlauf zwischen Kontrollen und Beobachtungen seinen Kopf aus, kehrt all jene Erinnerungen aus, die Spitzen hinterlassen haben, die gekrümmt in ihn hineingewachsen sind. Er weiß nicht, ob es Speke – der die Vorhut übernimmt, wenn er die Nachzügler begleitet – ähnlich ergeht; Themen wie diese sind von einer Intimität, die er nicht mit ihm teilt. Verwundungen von einst fühlen sich an wie jüngst erlitten: Er ist erneutso zornig wie damals, als er von dem Verrat seiner Vorgesetzten im Sindh erfuhr – die neuentfachte Wut treibt ihn über die nächste Hügelkette. Er trauert um Kundalini, so verbissen wie einst, er trauert bis zum nächsten Horizont, auf dem ein Baobab wächst, ein dickhäutiges Mahnmal. Erneut befürchtet er, als Frevler entlarvt zu werden, wie in der Wüste zwischen Medina und Mekka. Seine Schritte schleppen sich durch Zorn, durch Leid, durch Angst, und darin vergehen Stunden und Tage und Wochen. Alles, was in seinem Leben jemals untergegangen ist, treibt wieder an die Oberfläche, jede Erniedrigung, Enttäuschung, Verletzung. Er fühlt sich wie auf hoher See in einem steuerlosen Boot, er muß sich über Bord lehnen, um das Seewurfgut einzusammeln, jedes einzelne Stück, auch wenn es von Algen umschlungen oder vom Salz zerfressen ist, er hält es eine Duldigkeit lang in seinen Händen und untersucht es von allen Seiten, um festzustellen, daß die eine oder andere Seite nicht mehr wiederzuerkennen ist, und er legt es erst dann aus den Händen, wenn er es nicht mehr fühlen kann, weil es sich aufgelöst hat, in Gleichmut, nicht in Vergessenheit.
     
     
     
    SIDI MUBARAK BOMBAY
    Am Anfang wußte keiner von uns, was ihn erwartete, keiner von uns konnte ahnen, was wir erleben würden, und hätten wir es gewußt, keiner von uns hätte diesen Pfad der Narben und Entbehrungen auf sich genommen. Wir waren voller unbeschmutzter Erwartungen, am Anfang, als unsere Narben noch Wunden waren, als der Feind noch ein Bruder war und unsere Hoffnung reicher als unsere Erfahrung. Keiner von uns war auf das vorbereitet, was über uns hereinbrach, nicht einmal die Träger, die von den Menschen der Nyamwezi stammten, die schon einmal, mindestens einmal, durch dieses Land marschiert waren. Sie hatten das Gewicht von Karawanen getragen, die nach Gewinn strebten, aber diese Karawanen waren nicht von dem Ehrgeiz angetrieben, zu erreichen, was kein Mensch zuvor erreicht hatte. Die Träger hatten Befehle erduldet von Männern, die brutal, gierig und verschlagen, aber nicht verrücktwaren. Keiner von uns hatte das Gewicht einer Karawane gebuckelt, die von Wazungu angeführt wurde, und die Wazungu, meine Brüder, sind seltsame Menschen, ich kann sie erkennen, ich kann sie auseinanderhalten, aber ich werde sie niemals verstehen können. Sie glauben, die höchste Bestimmung des Menschen sei es, dort hinzugelangen, wo seine Vorfahren nicht hingelangt sind. Wie sollen wir, die wir uns davor fürchten, dort zu gehen, wo keiner zuvor gegangen ist, so etwas verstehen? Wie sollen wir ihr Glück begreifen, wenn es ihnen gelingt, die Aufgabe, die sie sich selbst gestellt haben, zu erfüllen? Ihr hättet den Ausdruck auf ihren Gesichtern sehen sollen, sie waren so glücklich wie ein Vater, der sein neugeborenes Kind in den Armen hält, so glücklich wie ein frisch Verliebter, der seine Holde nahen sieht …
    – Wie Baba Ishmails Gesicht, wenn er sein Boot voller Fische an Land zieht.
    – Oder wie die Gesichter der Kinder, wenn der erste Regen fällt.
    – Wie wäre es hiermit: Wie der Ausdruck auf dem Gesicht von Baba Sidi, wenn er seinen Freunden von seinen Triumphen erzählen kann.
    – Ihr kennt also dieses Glück, das ist gut, ich brauche es euch nicht weiter zu beschreiben, so ein Ausdruck von Glück war auf ihren Gesichtern, wenn sie ein Ziel erreichten, das kein anderer Wazungu vor ihnen erreicht hatte. Doch jede Sache wirft ihren Schatten, und ihr könnt euch nicht vorstellen, wie sich ihre

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