Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
Vom Netzwerk:
Burton liegt auf dem Boden, unfähig, sich zu bewegen, und er spürt im Inneren ein anderes, ein feindselig gesinntes Wesen, das seine Pläne durchkreuzen will. Irgendwann schreit er: Bevor ich weitermache, will ich wissen, umwas es geht. Ihr könnt mich nicht zu diesem endlosen Kampf zwingen, ohne etwas in Aussicht zu stellen. Jene, die ihm antworten, ohne ihm eine richtige Antwort zu geben, die Köpfe, die aus Brüsten wachsen, die mit behaarten Zungen nach ihm lecken, runzlige Weiber, die ihn auspeitschen, und er schreit, sie hätten ihn verwechselt, und sie grinsen hämisch und krächzen ein Lied, das er nicht versteht, zuerst, dann erfaßt er Bruchstücke, die Wörter stürzen herab wie Schmetterlinge ohne Flügel, und er versucht, sie mit einem Netz einzufangen, das aus seinen Händen wächst, und wenn er alle flüchtigen Wörter eingefangen hat, muß er lange in das Netz starren, bis er sie zu einem Sinn zusammenstecken kann: Es gibt kein schöneres Entzücken, es gibt kein größeres Glück als das Krachen der Knochen, die wir brechen, von morgens früh bis spät am Tag. Er blickt auf, die Hexen nicken verzückt, du hast uns verstanden und jetzt gib uns deine Glieder. Wir werden Löcher in sie bohren, wir spucken in sie hinein, du bist so schön behaart, jedes Härchen werden wir dir ausreißen. Gib uns deine Glieder, wir versprechen dir vollendeten Schmerz.
    Er wacht auf. Er hat das Gefühl, alles ausgeschwitzt zu haben, was er je getrunken hat. Seine Zunge ist wie eine Raupe, eingesponnen in Bitterkeit. Seine Beine gehorchen ihm nur widerwillig. Er streckt sie wieder aus. Er ruft nach Bombay, der ihm Wasser bringt. Er erkundigt sich nach Speke. Der sei schon aufgestanden.
    Burton schleppt sich zum Zelteingang und blickt hinaus. Der Himmel ist verhangen. Er hat das Gefühl, als sei ihm eine gewaltige Schuld erlassen worden. Speke ist in der Nähe. Es ist tröstlich, ihn zu sehen. Er grüßt ihn. Die Wörter rinnen ihm zäh aus dem Mund. Spekes Gesicht ist so straff, als sei seine Haut zum Trocknen auf eine Trommel gespannt worden. Er kommt ans Zelt, beugt sich zu Burton hinab. Wir haben die erste Attacke zurückgeschlagen, sagt er. Dann streckt er seine Hand aus und berührt sanft Burtons Wange. Es wirkt ungelenk, aber es ist ein Zeichen der Verbundenheit. Burton schöpft Hoffnung. Ich werde mich ein wenig ausruhen, sagt er. Dann können wir weiter. Wir sehen uns. Und er kriecht in sein Zelt zurück.
    Speke, mein verwirrendes Rätsel Speke, denkt er in der zerbrechlichenStille, die dem Fieber folgt. Er darf ihn nicht ungerecht beurteilen, weil er so schwer einzuschätzen ist. Er hat sich bislang bewährt. Er erledigt seine Aufgaben zuverlässig; er beschwert sich nie über die Härten des Reisens – wenn es einen spartanischen und einen athenischen Grundtypus von Menschen gibt, dann ist Speke eindeutig der spartanischen Seite zuzurechnen. In sich gekehrt, ruhig und ausgeglichen. Er ist zwar selten gutgelaunt, aber auch nie mißmutig, nie verdrießlich. Gewiß, es gibt manches an ihm, was ihn ärgert. Von Anfang an hat ihn das grenzenlose Desinteresse gestört, das Speke seiner Umwelt gegenüber an den Tag legt. Alle Landschaften, die sie bislang durchschritten haben, fand er fad, die Menschen uninteressant – das einzige, was Leidenschaft in ihm weckt, sind die wilden Tiere, die er erlegen kann. Als könne er sich dem Leben nur nähern, indem er sich seiner bemächtigt.
    Burton war vorgewarnt: Kurz nachdem sie sich kennenlernten, als Speke von einem Ausflug ins Landesinnere an die Küste Somalias zurückkehrte, trugen seine Träger so schwer, als sollten sie eine weitere Arche Noah beladen. Eine Reprise unter umgekehrten Vorzeichen, denn von jedem Tier gab es ein einziges prächtiges Exemplar, und dieses war nicht nur tot, sondern auch schon aufgebrochen und ausgeweidet. Ich bin ein Jäger, hatte Speke erklärt, als er an Bord kam, und ein Sammler. Deswegen gefällt es mir in diesen Breiten so gut.
    Leider hat sich dieses Gefallen rasch abgenutzt. Es ist kein gutes Zeichen, daß ihm schon nach wenigen Wochen langweilig ist. Wie wird es erst in einigen Monaten sein? Speke hat ihn angelächelt, er hat ihn tatsächlich angelächelt, das ist gut, er hat sich doch bewährt, alles ist gut, wieso nagt es in seinem Inneren, wieso sieht er nur Enttäuschungen voraus, die seine Menschenkenntnis bloßstellen werden, zum wiederholten Male.
    Das Fieber wallt wieder auf. Er trinkt einige Schlucke und macht sich auf den

Weitere Kostenlose Bücher