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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Anfall gefaßt.
     
     
     
    SIDI MUBARAK BOMBAY
    Es gab Tage, an denen wir frühmorgens aufwachten, lange vor Sonnenaufgang, und das erste, was wir fühlten, war der Schmerz, den der Tag uns bereiten würde. An einem solchen Morgen aufzustehen, das erfordert Mut, in der Kälte verhöhnen dich deine eigenen Hoffnungen, du spürst das Gewicht der Ballen, die auf die Schultern deiner Mitleidenden gehievt werden, du kämpfst im Getümmel um den leichtesten, du spürst, wie verwachsen deine Füße sind, du möchtest dich zusammenkauern wie ein Wehrloser, der die Schläge der Tage nicht mehr erträgt, und du sehnst dich nach einem Abgrund, der alles verschluckt. An solchen Morgen sahen wir klar, wir hatten den Anfang weit hinter uns gelassen und wir waren noch weiter vom Ende entfernt, und wir sahen, wie verkümmert wir waren, und wir erkannten, wie sehr wir Hilfe brauchten. Die Erde lächelte uns nicht mehr an, es war an der Zeit, einen Mganga aufzusuchen.
    – Gott behüte uns!
    – Nein, Sidi, nicht schon wieder diese Geschichte, diese Schande!
    – Ach, ich weiß nicht, wieso du dich so aufregst, Baba Quddus, ich habe das Gefühl, unsere Brüder hier genießen ein wenig Schande, besonders auf Kosten anderer. Außerdem stammte der Vorschlag nicht von mir, damals wußte ich nichts von einem Mganga. Es war der Wunsch von Salim bin Said, es war der Wunsch aller Nyamwezi. Ihr wollt einen Zauberer aufsuchen? Kann das nicht warten, bis wir diese Etappe hinter uns gebracht haben? Die Wazungu haben reagiert, wie manche von euch reagiert hätten, sie haben reagiert, wie ich es von ihnen erwartet hatte. Vor allem Bwana Speke, der kaum etwas wußte und kaum etwas verstand, der aber glaubte, es gebe nichts, was er nicht durchschaute. Auch Bwana Burton äußerte sich abschätzig, zunächst, reine Zeitverschwendung, sagte er, doch dann dachte er nach, er war ein Mensch, der seine Meinungen gelegentlich überprüfte, so wie die Menschen in den Dörfern ihre Häuser nach der Regenzeit überprüfen, und manchmal änderte er dann seine Meinung, manchmal errichtete er sogar ein völlig neues Haus. Leise sagte er: Was kann es schon schaden? Ich sehe nicht, antwortete ich, wie es uns schaden könnte. Im Gegenteil – seine Stimmerichtete sich auf –, es kann uns von Nutzen sein. Also trat er vor die gesamte Männerschaft und begrüßte diesen Vorschlag mit Feuer in seinen Worten, und als wir einen Mganga gefunden hatten, zog er mich zur Seite und bat mich, dem Mann ein Geschenk in Aussicht zu stellen, für eine gute Prophezeiung, fügte er hinzu, und in seinen Händen hielt er auf einmal eine jener Korbmützen aus Indien, eine schöne, weiße Mütze, und er rieb seinen Daumen an ihr, als genieße er es, den Stoff zu berühren. Der Mganga, dem wir uns anvertrauten, war ein Mann von hoher Geburt, seine Würde überragte ihn um eine Haupteslänge, er hatte einen bunten Stoff um seine Stirn gebunden, es hingen viele Ketten um seinen Hals, und jede dieser Ketten war mit unterschiedlichen Perlen, mit unterschiedlichen Muscheln, besetzt. Er war ein Mann, den ich mir auf unserer Seite wünschte, denn ich spürte, in ihm war eine Kraft umzäumt, die jederzeit aus ihm herausbrechen konnte. Als sich das Schweigen auf uns alle gelegt hatte, nahm er eine starke Prise Schnupftabak, holte seine Gurde heraus, die Medizin enthielt, und begann sie zu schütteln, worauf es in ihr rasselte, als sei sie voller Kieselsteine. Seine Stimme donnerte von weit unten, als wurzele sie in der Erde. Ich hatte so eine Stimme noch nie gehört. Es war seine Stimme, doch sie gehörte nicht ihm allein. Sie klarte auf, langsam näherte sie sich der Luft. Ich sage euch, meine Brüder, ich hatte so etwas noch nie zuvor erlebt. Ich war erstaunt, und doch wirkte er vertraut auf mich, wie ein Mensch, dem du zum ersten Mal begegnest und dessen Gesicht dir trotzdem bekannt ist. Ich war gebannt. Als seine Stimme hoch und leicht war, die Vögel hätten ihr nicht folgen können, legte der Mganga die Gurde auf den Boden, sie rollte ein wenig zur Seite, die Gurde wackelte, und ich hatte das Bedürfnis, ich weiß nicht wieso, ich war mir in diesem Augenblick fremd, ich wollte den Kürbis beruhigen, ich wollte ihn anfassen, ich streckte meine Hand aus, zum Kürbis hin, aber er lag zu weit entfernt von mir, und es war mir nicht möglich, mehr zu bewegen als meine Hand. Der Mganga holte zwei Ziegenhörner aus seinem Sack, einem Jutesack, den ich an diesem Ort nicht erwartete und über den

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