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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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diesem Flüstern herauskroch, sie lautete: Flucht. Ich schwieg und wandte meine Ohren ab, denn ich wollte mich daran nicht beteiligen, und ich wollte Bwana Burton nicht anlügen. Als wir endlich Schlaf fanden, ein Schlaf, der so schmeckte wie kalter Tschai ohne Zucker, wußten wir, was uns erwartete: Der nächste Morgen würde aufgehen in neuer Verzweiflung, in neuer Einsamkeit.
    – Einsam wie eine Witwe.
    – Wie eine Witwe, deren zweiter Mann soeben gestorben ist, und die beschlossen hat, nie wieder zu heiraten.
    – Baba Ilias, welche Erleuchtung ist in dich gefahren? Ein Bild von dir, das ich mir tatsächlich vorstellen kann.
    – Es ist nicht von mir, es ist von einem Somali-Freund.
    – Dann rufe bitte künftig die Weisheiten deiner Freunde herbei, anstatt dich auf deine eigenen zu verlassen.
    – Wie ist das möglich, Baba Sidi? Habt ihr die ganze Zeit gelitten? Kenne ich dich so schlecht? Ich kann mir nicht vorstellen, du hättest nicht auch dein Vergnügen gehabt?
    – Natürlich, du hast recht. Die Leiden des Tages und der Nacht, wir hätten sie nicht überstanden ohne die Freuden des Abends. Ich spreche nicht von dem Essen, oh nein, das Essen war am Anfang ausreichend, nicht mehr als ausreichend, und wer so viel läuft und so viel schleppt wie wir, der ißt viel und rümpft nicht die Nase über das, was in seinem Blechteller liegt, nein, ich denke an die Zeit nach dem Essen, als wir all das Glück nachholten, das uns unter der Sonne versagt geblieben war. Wir tanzten und wir sangen, und als wir merkten, wie gering Bwana Burton und Bwana Speke unsere Tänze und Gesänge schätzten, begannen wir, über sie zu spotten. Einer der Träger war ein Mann mit krummen Beinen, die er beim Tanzen in alle Richtungen schüttelte, wir lachten über seine ungelenke Gelenkigkeit und über seinen schiefen Gesang, der etwa so ging:
    Ich bin der Frij, ich bin der Frij,
    mein Bruder Spek, mein Bruder Spek,
    ist hin und weg, ist hin und weg,
    wir spenden ihm ’ne fette Kuh,
    damit er findet seine Ruh’.
    Und am Ende des Liedes riefen wir alle inbrünstig aus: Amiiiiiin! Als hätten wir ein Gebet vernommen, das alle Dschinns besiegt. Als er unseren Gesang hörte, und natürlich nicht verstand, dachte Bwana Speke wohl, es handele sich um ein Loblied zu seinen Ehren, denn er richtete sich vor seinem Zelt auf, kam zu uns ans Feuer und sang uns eines seiner Lieder, ein Lied, das sich auf den Schultern eines Trauernden aufrichtete, ein Lied, das gut zu einer Beerdigung gepaßt hätte. Aber er sang aus vollem Hals und aus vollem Herzen,und am Ende seines Liedes zeigten wir laut unsere Begeisterung, worauf er einige Tanzschritte vorführte, die er leider bald unterbrach, wahrscheinlich weil er unser Lachen hörte. Ja, meine Brüder, das hat uns Stärke gegeben, als wir erfahren durften, wie lächerlich die Wazungu sein können.
     
     
     
    Sie dringen ein in den Regenwald. Danach ist nichts mehr wie zuvor. Der Horizont, geschluckt. Der Pfad ist vergittert von Lianen, jede einzelne dick wie ein Tau. Die ausladenden Kronen haben sich zu einem dunkelgrünen Dach verflochten, gestützt von grauen Pfeilern, wie in einem heiligen Hain, zu dem nur die schattige Seite der Geräusche durchdringt. Die schwarze glitschige Erde unter dem dichten Gestrüpp schluckt jeden ihrer Schritte. An sumpfigen Stellen können sie sich nur auf Baumwurzeln verlassen. Die Grasbüschel sind so scharf wie frisch geschliffene Klingen, die Bäume von Epiphyten befallen, reptilienhaften Schmarotzern, die an den Wipfeln zu falschen Vogelnestern ausästen. Der Pfad wird von Kriechern und Kletterern erdrosselt. Wer den Weg tötet, murmeln die Träger, tötet auch den Wanderer. Und es stinkt, als läge hinter jedem Baum die Leiche eines Unglücklichen. Die Packen fallen von den Eseln, die Belutschen verfluchen das Unglück und überlassen das Aufladen den anderen. Wenn sie vom Himmel mehr sehen als Fetzen eines verschmutzten Leichentuches, ist er dicht und grau und niedrig, wie Rauch, der nicht abziehen kann. Die Luft überzieht ihre Haut mit einem Miasma, ein Schmutzfilm, der sich nicht abwaschen läßt, auch wenn sie Wasser fänden und sich eifrig abschrubben würden.
    Sie wußten von Anfang an, es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Krankheiten einnisten würden. Aber sie hatten nicht vorhergesehen, daß die Malaria sie beide gleichzeitig überwältigen würde. Sie machen halt knapp hinter der Baumgrenze, wo sich erste Lichtungen zur Steppe ausdehnen.

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