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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Aufgabe. Wie viele sind daran schon gescheitert. Wissen Sie, was ich getan habe? Ich habe ein Zeitreglement eingeführt. Ich halte das für meine allergrößte Errungenschaft.
    Mitten im Satz, als der Richter zur Betonung mit dem Kopf genickt hatte, war die Spitze seines Ziegenbartes in das Tintenfaß gerutscht.
    – Unser Tag besteht aus halben Stunden. Jeder Angelegenheit widme ich dreiundzwanzig Minuten, so daß mir sieben Minuten Pause bleiben. Sie werden sehen, gleich werden die nächsten auftauchen. Pünktlich wie Big Ben! Wenn sie nämlich zu früh oder zu spät erscheinen, wird ihr Fall nicht behandelt. Kein Einspruch. Sie können sich am Ende der Schlange wieder einreihen!
    Die Bartspitze lag noch immer im Tintenfaß. Langsam färbten sich die Haare von der unsichtbaren Spitze aufwärts. Locke um Locke wuchsen blaue Äderchen zum Kinn.
    – Sie glauben vielleicht, diese Vögel schwirren durch meinen Verstand.
    Er lachte. Seine Zähne waren blau überzogen, ebenso seine Zunge.
    – Denken Sie, was Sie wollen, aber seien Sie versichert, ich werde meiner Aufgabe gerecht, besser als jedes andere gottverlassene Gericht in diesem gottverlassenen Land. Ich muß mich auf den nächsten Fall vorbereiten.
    Er hob eine Akte von einem niedrigen Stapel neben seinem Sitz auf, führte sie zum Mund und blies etwas unsichtbaren Staub weg.
    – Staub, der ist überall. Dagegen hilft Gelbwurz, täglich einzunehmen. Am Abend, mit etwas Honig vermengt, dann kann Ihnen der Staub nichts anhaben. Verweilen Sie, wenn Sie möchten, aber ich fürchte, dieser Fall wird sich als langweilig herausstellen. Durch und durch langweilig.
    Der Richter vertiefte sich in das Studium der Akten, bevor Burton Abschied nehmen konnte. Der Junge zog an seinem Ärmel und führte ihn zum hinteren Ausgang am anderen Ende des Saals. Bevor sie den erreichten, drängte sich Burton eine Frage auf. Seine laute Stimme wurde zu einem Echo gebogen.
    – Herr Richter. Was war dieses Gebäude früher?
    Während seine Worte die Vögel unter der Kuppel verschreckten, fixierte ihn der Richter mit einem freudlosen Blick.
    – Ein moslemisches Grabmal. Verschwinden Sie!
     
     
     
    11.
    NAUKARAM
     
    II Aum Pashinaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
    – Gestern war kein ergiebiger Tag. Ich habe am Abend die Aufzeichnungen durchgesehen, es war kaum etwas Brauchbares darunter. Wir haben Geld verschwendet.
    – Wir haben Geld verschwendet? Wie kann das sein? Ich habe etwas gezahlt, und Sie haben etwas erhalten.
    – Wir müssen mehr über Baroda aufschreiben. Schließlich wirst du in Baroda eine neue Anstellung suchen. Sindh ist weit weg.
    – Ich habe Ihnen schon alles erzählt über meine Zeit hier.
    – Du hast Kundalini ausgelassen.
    – Mit Absicht.
    – Du legst eine unnötige Scham an den Tag, wirklich. Es weiß doch jeder in der Stadt, die Angrezi ohne Ehefrauen nehmen sich Konkubinen, jeder von ihnen hat eine Bubu. Du hast dem Firengi also eine Geliebte beschafft.
    – Woher wissen Sie das?
    – Selbst wo die Sonne nicht hingelangt, dort kommt der Dichter hin. Was also willst du mir verheimlichen?
    – In meinem Fall war es anders.
    – Gewiß. Deswegen möchte ich die Geschichte festhalten. Sie macht dich besonders. Sie zeichnet dich aus, dessen bin ich mir sicher, ohne sie näher zu kennen.
    – Nein. Nicht unbedingt.
    – Wie oft habe ich dir schon versichert: Was nicht für dich spricht, wird nicht aufgeschrieben.
    – Besser ist es, wenn es nicht ausgesprochen wird.
    – Du bist nicht nur ein Dickkopf …
    – Ich muß nicht über alles reden.
    – Du weißt deine Verbohrtheit auch noch zu rechtfertigen.
    – Ich will heute nicht reden. Ich werde gehen.
    – Ohne mein Einverständnis …
    – Ao-jo. Wir sehen uns morgen.
    – Du bist ein Narr. Ich bin der einzige, der dir helfen kann, deine Dummheit zu verkleiden. Hörst du, du Narr.
     
     
     
    12.
    MIT DER MONDSICHEL AUF DER STIRN
     
    Auf einmal war sie da. Er war nicht auf sie vorbereitet. Das allererste, was er von ihr sah, war die Bucht ihres nackten Rückens. Die Mündung ihres Nackens. Über dem Saum des Saris eine Dupatta in Chamois. Der Sari war blau, wie tiefes Wasser. Sie saß im Garten, auf einem Hocker, der – wenn er sich nicht täuschte – aus der Küchestammte. Er sah ihren Hinterkopf, ihr Nacken wurde senkrecht geteilt von dem Seil ihrer geflochtenen Haare, versetzt mit roten Seidenfäden. Eine dünne Kette hing golden über einem ihrer Halswirbel wie ein

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