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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Firengi verbringen ihre Zeit fast ausschließlich zu Hause. Ich werde sie dort antreffen, wenn ich herumgehe, um mich vorzustellen.
    – Ich schätze halbe Sachen überhaupt nicht. Wir sollten warten, bis unsere Arbeit abgeschlossen ist und du dich mit dem endgültigen, bestmöglichen Schreiben vorstellen kannst. Der Monsun wird nicht so schnell vorüberziehen.
    – Ich bestehe darauf.
    – Na, wenn du darauf bestehst, dann gibt es wohl keine Diskussion? Ich bestehe darauf? Wo hast du denn das gelernt?
    – Ein Monat ist eine lange Zeit. Da bekommt sogar einer wie ich mit, wie er an der Nase herumgeführt wird.
     
     
     
    32.
    DIE HERRSCHAFT DES DICHTERS
     
    Bericht an General Napier
    Persönlich
    Sie haben mir den Auftrag erteilt, Informationen zu sammeln, die uns einen Eindruck gewähren, wie uns die Einheimischen betrachten. Ich habe viele Stunden in der Gegenwart von Sindhis, Belutschen und Panjabis aus allen Klassen zugebracht, auf den Märkten, in den Tavernen und am provisorischen Hofe des Aga Khan. Ich habe jeder Stimme mein aufmerksames Ohr geliehen, und ich habe es vermieden, über den Sinn des Geäußerten zu urteilen. Ich bin davon ausgegangen, daß ich die Welt ähnlich einseitig sehe wie jene,die mir gegenüber eine Meinung äußerten. Ich habe mich nicht verstellt, denn ich bin davon überzeugt, daß die Orientalen das Aufgesetzte durchschauen. Ich habe den Ansichten weder widersprochen noch habe ich sie angestachelt. Ich habe mich mit der Rolle des Zuhörers begnügt, und ich muß ohne falsche Bescheidenheit feststellen, daß ich mich einer Beliebtheit erfreut habe, die mir selten im Leben widerfahren ist. Meine schwierigste Aufgabe besteht nun darin, knapp zu resümieren, was in unzähligen Gesprächen verwinkelt und verworren, geschwollen und gespreizt vorgetragen wurde. Verallgemeinerungen sind unerbittliche Gleichmacher, vor denen wir uns hüten sollten wie der Teufel vor dem Weihwasser, aber ich konnte nicht gänzlich auf sie verzichten, um Ihren Auftrag so zu erfüllen, daß die gesammelten Informationen von möglichst großem Nutzen sind. Kommen Sie endlich zum Punkt, höre ich Sie sagen, und ich beeile mich, auch diesem Wunsch zu entsprechen.
    Die Einheimischen sehen uns ganz anders, als wir uns sehen. Das klingt banal, doch wir sollten uns diese Einsicht im Umgang mit ihnen stets vor Augen führen. Sie halten uns keineswegs für mutig, für klug, nicht für großzügig, für zivilisiert, sie sehen in uns nichts anderes als Schurken. Sie vergessen kein einziges der Versprechen, die wir nicht eingelöst haben. Sie übersehen keinen einzigen der bestechlichen Beamten, die unsere Gerechtigkeit durchsetzen sollen. Sie empfinden unsere Manieren als anstößig, und natürlich sind wir gefährliche Ungläubige. Viele Einheimische sehnen sich nach einem Tag der Rache, einer östlichen Nacht der langen Messer, wie ich es nennen würde, sie können den Tag nicht abwarten, an dem der stinkige Eindringling verjagt wird. Sie durchschauen unsere Heuchelei, genauer gesagt, die Widersprüche in unserem Verhalten addieren sich in ihren Augen zu einer allumfassenden Heuchelei. Wenn die Angrezi besonders viel Frömmigkeit an den Tag legen, sagte mir ein älterer Mann in Hyderabad, wenn sie uns die Ohren vollstopfen mit Märchen von der aufgehenden Sonne des Christentums, wenn sie die Ausbreitung der Zivilisation beschwören und die unendlichen Vorzüge, mit denen wir Barbaren beschenkt werden würden, dann wissen wir, die Angrezi bereiten einen weiteren Diebstahl vor. Wenn sie beginnen, von Werten zu sprechen, dann sind wir gewarnt. Wirkönnten diesen Mann einen Zyniker schimpfen, aber er ist ohne Zweifel ein kluger, hochangesehener Zyniker. Da ein Beispiel mehr ausdrückt als hundert Behauptungen, möchte ich von einer weiteren Begebenheit berichten. Vor einigen Monaten wurde in einem abgelegenen Teil des Landes westlich von Karchat ein Belutsche gefangengenommen, ein Stammesoberhaupt, der beschuldigt wurde, Raubüberfälle auf unsere Nachschubwege organisiert zu haben. Dieser Belutsche war als gewiefter und erfahrener Zweikämpfer bekannt, weswegen der Offizier, der die Verhaftung durchgeführt hatte, auf die Idee verfiel, ihn zu einem Zweikampf herauszufordern. Er bildete sich wohl ein, sein Sieg würde unsere militärische Überlegenheit demonstrieren. Der Häuptling wurde auf ein altes, müdes Pferd gesetzt, der Offizier schwang sich auf seinen kampferprobten Hengst. Er stürzte sich mit viel Bravour und

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