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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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sich das an, wurde aufgeregt verkündet, ein Wunder sei geschehen. Und dann kam das schrecklichste, der arme Mann, er wurde beschnitten.
    – Mit dem Messer?
    – Wie sonst? Er wurde verstümmelt, das ist ein Leben lang nicht gutzumachen.
    – Ich habe gehört, es soll reinlicher sein.
    – Haben Sie kein Mitgefühl? Ein unschuldiger Mensch, einer von uns, der verunstaltet wurde. Einen Menschen zu einem anderen Glauben zu zwingen, das ist eine Vergewaltigung, die nie endet.
    – Gewiß, gewiß. Ich bezweifele allerdings, daß es so oft vorkommt. Solche Geschichten, wie du sie gerade erzählst, sie gehörenzu jenen, von denen man immerzu hört, die man selber aber nie erlebt, und man kennt auch keinen, der sie erlebt hätte.
    – Sie verschließen die Augen. Deshalb. Und wenn Sie Ihre Augen wieder öffnen, wird es zu spät sein.
    – Das reicht. Wir haben gestern schon die meiste Zeit verschwendet mit deinen Tiraden.
    – Sehen Sie, wie die Miya mir heute noch schaden. Wieso haben Sie mich nicht unterbrochen?
    – Ich dachte, es tut dir gut, darüber zu reden. Dieses Gift frißt dich offensichtlich von innen auf.
    – Sie müssen mich unterbrechen, wenn ich auf Abwege komme. Ich habe keine Zeit und auch kein Geld mehr. Ich muß Sie bitten, Sie müssen mir die Zahlung bis morgen stunden. Einer meiner Brüder, er schuldet mir noch etwas. Er war einer der Diener damals.
    – Dann laß uns für heute einen Schlußstrich ziehen. Und morgen weitermachen, ohne Haß und mit dem Geld, das du mir schuldest.
     
     
     
    30.
    HERR DER GANZEN WELT
     
    Zwei Schleier trennten sie, die Herrscher, von den Menschen des Landes. Der Schleier der eigenen Unwissenheit und der Schleier des Mißtrauens, hinter dem sich die Einheimischen versteckten. Der General wußte, die Schleier würden sich nicht wegreißen lassen, aber er hatte sich fest vorgenommen, etwas besser durch sie hindurchzusehen. Wie alle Administratoren des Imperiums verbrachte er seine Tage am Schreibtisch, ritt nur mit Eskorte aus, bekam stets nur das gezeigt, was sein Wohlwollen finden würde, nach Einschätzung der einheimischen Emire sowie der eigenen Untergebenen. Es brannte ihm unter den Fingernägeln, wie wenig er von dem Land und seinen Menschen wußte. Seine Adjutanten studierten unzählige Papieremit der Beflissenheit von Eulen, aber sie hatten noch nie an einem Beschneidungsfest, an einer Hochzeit oder einer Beerdigung teilgenommen. Kenntnisse des Persischen, des Urdu oder des Sindhi waren die Ausnahme. Die Lage verbesserte sich nicht im Laufe der Jahre. Die jüngeren unter seinen Beamten und Offizieren kapselten sich noch mehr von den Einheimischen ab. Sie legten Wert auf eine gepflegte, kompromißlos britische Erscheinung, folglich schlossen sie sich ein in das Vakuum der eigenen Räumlichkeiten. Sie nutzten ihren Anspruch auf regelmäßigen Heimurlaub. Sie kehrten mit ihren Gemahlinnen zurück. Der Sinn für Sittlichkeit hatte zugenommen, und darunter verstand man vor allem die Verteidigung des Eigenen gegen das Fremde. Dieser Moralkodex, so wertvoll er in der Heimat auch sein mochte, er verblendete die Offiziere und Beamten, die ihm unterstanden. Sie waren die blinden Tentakel jenes Monstrums, das von einer kleinen Straße in London aus die halbe Welt verwaltete. Allein unsere Kenntnis des Gegners macht uns stark, sagte der General. Wir müssen unsere Kenntnisse vertiefen. Diese Wißbegier unterscheidet uns von den Einheimischen. Wer hätte schon einmal gehört, daß einer von ihnen sich auf den Weg macht, etwas über uns zu erfahren? Sollten sie eines Tages uns erforschen, unsere Schwächen und unsere Ängste, dann werden sie uns empfindlich treffen können, sie werden zu Gegnern heranwachsen, denen wir eine gehörige Portion Respekt entgegenbringen müßten. Seine Mahnungen blieben ohne Wirkung. Man hielt ihn allenthalben für einen skurrilen, streitlustigen Greis. Keiner hätte behauptet, daß der General ein zufriedener Herrscher war. Gelegentlich geriet er in einen Tobsuchtsanfall und provozierte sie mit den bittersten aller Wahrheiten. Wozu dient unsere Verwaltung in Britisch-Indien? Der Eroberung? Dem Wohl der Massen? Der Gerechtigkeit? Ganz gewiß nicht. Seien wir ehrlich. Sie dient nur dem Zweck, das Rauben und Plündern zu erleichtern. Die Untergebenen hatten gelernt, ihren Blick zu hüten und ihren Gesichtsausdruck einzufrieren. Alles Töten, alles Sterben, nur damit unser Handel entscheidende Vorteile gegenüber den Konkurrenten erhält. Alles

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