Der Weltensammler: Roman (German Edition)
Flut von Phantomen des Egos existiert, ist das wahre Selbst, das Eine. Tat tvam asi , sagt Adavaita, du bist das! Deswegen, mein Shishia, und das ist das letzte, was ich Ihnen sagen werde, bevor wir uns schlafen legen, ist jeder Gedanke, der entzweit, ein Verstoß gegen die höchste Ordnung. Deswegen gilt es schon als Gewalt, wenn wir uns als Fremde ansehen, wenn wir uns als andere betrachten.
Upanitsche legte sich schlafen. In der Entfernung schlugen Becken aneinander mit einem hellen Klang. Die Bhajan würden die Nacht durchwachen. Burton schlummerte ein. Er wußte nicht, was ihn geweckt hatte. Er richtete sich auf. Blickte um sich. Dicht nebeneinander lagen die Leiber, der gesamte Vorraum bedeckt von leichtem Schlaf. Er war einer dieser Leiber. Eine Hebung im Atem des Universums. Fast ein Nichts. Um wieviel tröstlicher zu glauben, daß er alles war und alles in ihm war. Diese Menschen waren stets in der Masse aufgehoben, sie schliefen jede Nacht unter vielen anderen, sie waren es gewohnt, einer von vielen Leibern auf unebenem Boden zu sein. Er horchte auf. Der Ton eines neuen Bhajan erklang. Weitere Stimmen schlossen sich dem Gesang an, begleitet von Ausrufen des Entzückens und von Händen, die nach vorne stießen. In die Pause, in den neunten Schlag der Tabla. Derweil Gott gekühlt wurde von einem feinen Wasserstrahl. So leise, er konnte ihn nur hören in dem stummen Schlag. Stundenlang hatten sie neben dem Strahl gesessen. Wiederholen Sie die Namen Gottes, hatte Guruji geraten, damit Ihnen nicht kalt wird im Kopf, mein Shishia. Burton verstand nicht genug Sanskrit, die Litaneien ermüdeten ihn. Seine Aufmerksamkeit nahm die Umgebung unter die Lupe. Die Lieblingsblume der Gottheit, verstreut auf dem Boden, eine dreiblättrige Wandlung. DieSchwielen an den Füßen des Pujari. Ein Härchen, das noch nicht weiß geworden war, auf dem Haupt von Guruji. Als es vorbei war, nach sechs Stunden, übertrug der Priester den Gläubigen die Verdienste, die er durch die Puja erworben hatte. Das Pragmatische im Glauben, umfassender als jedes anderes Gesetzbuch. In der Nacht von Shiva, in der vorhergehenden Nacht und an dem Tag zuvor, er gehörte so sehr dazu, ihn reizte die Vorstellung, für den Rest seines Lebens Teil dieser Familie, dieses Ortes, dieser Rituale zu sein. Er erschrak über diese Lust. Betörend im ersten Augenblick, bedrohlich, sobald er in ihr verweilte. Er stand auf, umrundete den Tempel und setzte sich zu den Wachenden. Er sang einen Bhajan mit, seine Stimme die tiefste unter dem Vordach des Tempels. Zum Sonnenaufgang, als er sich am Fluß wusch, hörte er, wie einer der jungen Männer seinen Freund fragte: Woher kommt dieser Firengi? Wer weiß, was er zu Hause über uns erzählen wird. Was ist denn seine Gotra? fragte der Freund schlau.
Als Burton zu Hause in den Spiegel blickte, erkannte er sich selbst nicht wieder. Nicht wegen irgendeiner äußeren Veränderung, sondern weil er sich verwandelt fühlte.
49.
NAUKARAM
II Aum Ishaanaputraaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
– Ich habe dir schon klargemacht, daß die Leute im Sindh Miya sind. Die meisten von ihnen. Unsere Schreine wirkten fehl am Platz. Weil sie so selten waren. Ich muß dir sagen, die Ausnahme beschämt. Sie wirken so selbstverständlich bei uns. Dort nicht. Die übriggebliebenen Tempel waren in Grotten und Höhlen, die Girlanden vertrocknet. Die Göttin, Singhuvani hieß sie, sie sah aus wie Durga, sie war auf ihrem Löwen zu weit nach Westen geritten. Ichweiß, es ist unsinnig, was ich sage, aber so kam es mir vor. Es drängte mich, die Schreine einzupacken und nach Hause zu tragen. Ein verrückter Gedanke, ich weiß. In den Makli-Hügeln, die zerfressen sind von Grabmälern. Die Beschnittenen behaupten, dort läge eine Million ihrer Heiligen begraben. Sie übertreiben natürlich. Eine Million heilige Sulla? Wie kann das sein!
– Als ob wir nicht übertreiben würden.
– Wir übertreiben bei den Göttern, die übertreiben bei den Menschen.
– Ist dem so? Vielleicht liegt es daran, daß sich die Moslems nicht einen ganzen Zoo von Göttern halten.
– Auf wessen Seite stehst du eigentlich?
– Es gibt mehr als nur zwei Seiten. Wir sollten dieses Gestrüpp verlassen. Was wollten Sie mir über diese Hügel sagen?
– Überall waren Zeichen unserer Santano Dharma zu sehen. Nach so vielen Jahrhunderten der Unterdrückung. Zwischen den Grabmälern. Aufgerichtete Steine. Als ich
Weitere Kostenlose Bücher