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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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nahmen ihn nicht in Schutz. Sie waren erbost über seinen Mangel an bedingungsloser Treue. Ich habe sein Leid gefühlt, als sei es mein eigenes. Nie in meinem Leben war ich jenem Mitgefühl für eine andere Kreatur so nahe, das unsere heiligen Lehrer von uns fordern. Wir liefen einen Hafen an, der Plymouth heißt, und ich sah es endlich. Dieses England. Ich sah saftiges Grün und weiche Hügel in der Ferne. Und die Passagiere, vor allem jene unter ihnen, die lange in Hitze oder Wüste gedient hatten, sie hatten glasige Blicke. Ich bin mir sicher, keiner riß die Augen so weit auf wie ich. Ich konnte nicht glauben, wie schön dieses Land war, das sie England nennen. Ich wandte mich zu Burton Saheb, und ich weiß noch genau, was ich sagte, Wort für Wort: Was seid ihr Angrezi für Menschen, ein solches Paradies zu verlassen, ohne Zwang und ohne Not, um in ein gottverlassenes Land wie das unsere zu reisen.
     
     
     
    64.
    UNENDLICH BEWUSST
     
    Der General las diesen Bericht so oft durch wie kein anderes Schreiben in seinem Leben. Er suchte nach einem Weg, diesen Soldaten vor den Konsequenzen seiner Pflichterfüllung zu bewahren. Nicht nur hatte er sich in einen Morast begeben, den ›ein wenig unappetitlich‹ zu nennen eine ungebührende Untertreibung war; er hatte aufgedeckt, was nicht sein durfte, und somit würde die ganze negative Anmutung des Falles auch auf ihn persönlich zurückfallen. Zu allem Überfluß verweigerte er, zumindest schriftlich, einen Teil der Auskunft, weil er einem Einheimischen ein Versprechen gegeben hatte. Das würde nicht gut ankommen. McMurdo wünschte ein Gespräch mit diesem Burton, von dem er schon manch Unschmeichelhaftes gehört habe. Sie riefen den Leutnant in das Dienstzimmer desGenerals. Er war erstaunt, eine Handvoll von Hochrangigen vorzufinden. Der General sprach, langsam. Er wirkte müde.
    – Major McMurdo wünscht, Ihre Untersuchung fortzusetzen, und hierzu müßte er wissen, wie die Namen Ihrer Gewährsleute lauten, wie die Offiziere heißen, die diesen Ort aufsuchen.
    – Die Namen unserer Offiziere kann ich Ihnen nicht geben, weil ich sie nicht kenne. In meiner Gegenwart war kein Offizier im Lupanar . Die Namen der Gewährsleute kann ich Ihnen nicht verraten.
    – Wieso nicht?
    – Weil ich mein Wort gegeben habe.
    – Es sind doch nur Einheimische.
    – Ich habe auf meinen Bart und auf den Koran geschworen.
    – Er scherzt, mein Gott, er scherzt zu unpassender Zeit.
    – Ich kann diesen Schwur nicht brechen.
    – Das meinen Sie nicht ernst, Soldat. Sagen Sie uns, daß Sie das nicht wirklich so meinen.
    – Mein voller Ernst, Sir.
    – Ihnen bedeutet das Versprechen gegenüber einem gemeinen Einheimischen mehr als die Sicherheit unserer Truppe?
    – Ich habe für die Sicherheit unserer Truppe einiges geleistet, wenn ich darauf hinweisen darf, Sir, und ich bin zuversichtlich, daß wir auf anderen Wegen bald die gesamte Wahrheit herausfinden werden. Ich kann das Vertrauen dieses Mannes nicht enttäuschen.
    – Du mußt dich entscheiden, Burton. Er oder wir.
    – Ich gehe davon aus, Major, daß man verschiedenen Loyalitäten treu sein kann. Sie konstruieren einen unlösbaren Konflikt.
    Sie sagten kein Wort mehr, die versammelten Herren von den obersten Rängen, der General, sein Spürhund McMurdo und ihre Adjutanten. Sie blickten sich an, und mit diesen Blicken schlossen sie ihn aus für sein restliches Leben, aus dem Militär, aus ihrer Gesellschaft. Er wußte in diesem Augenblick, er würde nie über den Rang eines Hauptmanns hinauskommen. Nicht nach dem Vermerk, den sie nach diesem Gespräch aufsetzen würden, ein Vermerk über seine Unzuverlässigkeit, der ihn überallhin begleiten würde. Man konnte sein Wesen ändern, eigentlich ließ sich fast alles an einem selbst ändern, nicht jedoch die eigene Akte. Sie würden etwas Vernichtendesniederlegen, etwas in der Art von … »sein Verständnis der Eingeborenen, ihrer Denkweise, ihrer Bräuche, ihrer Sprache, ist profund und könnte von großem Nutzen sein. Doch hat die Nähe, aus der sich seine Kenntnisse speisen, in Leutnant Burton eine Verwirrung hinsichtlich seiner Loyalitäten ausgelöst, die den Interessen der Krone zuwiderläuft. Mit Bedauern müssen wir feststellen, daß wir das Ausmaß seiner Treue zukünftig nicht abschätzen können.«
     
     
     
    0.
    KALTE RÜCKKEHR
     
    Es war ein grausamer Empfang. Naukaram und er, zwei Rosinen, die in einen Sauerteig geworfen wurden. Die Luft war düster, voller Rauch

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