Der Weltensammler: Roman (German Edition)
und Ruß, zum Atmen ungeeignet. Der kalte graue Himmel ließ sie schaudern. Alles an der Stadt war klein, kleinkariert, kleingeistig und knauserig, die winzigen Einfamilienhäuser unterwürfig, in den öffentlichen Plätzen verknotete sich die Melancholie. Und dann das Essen! Primitiv, halbgar, fad, das Brot bestand nur aus Krümeln ohne Kruste. Zum Trinken gab es penetrante Medizin, die den Namen Bier oder Ale trug. Egal, was einem serviert wurde, es gab kein Entrinnen: Sie waren unter die Barbaren gefallen. Der Winter, der folgte, war schrecklich. Jeder Baum ähnelte einem klirrenden Kerzenleuchter. Kalte Nebelschwaden nisteten sich ein und mit ihnen Bronchitis und Influenza. Die Kohle ging regelmäßig aus, der Gasdruck fiel oft so niedrig, daß sie auf ihren wichtigsten Trost verzichten mußten – sie konnten den Tschai nicht kochen, der manch einen Nachmittag erträglich gemacht hätte. Burton konnte es nicht abwarten, dieses Land wieder zu verlassen, seine Familie in dem halbwegs erträglichen Frankreich zu besuchen. Er war unversöhnlich. Er war nicht gewillt, sich dem Mittelmaß anzupassen. Er zog Kleidung an, die schockieren würde, Kurtas in schreigrellen Farben,ungewöhnlich breite Pumphosen aus Baumwolle, enge Wickelgamaschen und goldene Gondoliersandalen. Obwohl er darin fror. So lief er durch London, so kehrte er in die Klubs ein, begleitet von Naukaram, mit dem er sich, kaum konnte er sich der Aufmerksamkeit der Versammelten sicher sein, lautstark in Sprachen unterhielt, die keiner außer ihnen beiden verstand. Gelegentlich übertrieb er es, schöpfte die Nachsicht aus, die einem Mann entgegengebracht wurde, der in Indien gedient hatte; die Mitglieder des Klubs wurden seiner Provokationen überdrüssig und verwiesen ihn des Etablissements. Einmal wäre er fast verprügelt worden. Nur der wilde Blick in seinen Augen hielt die empörten und schon ziemlich angetrunkenen Landsleute zurück. Es war ein Abend, an dem Geschichten von den verschiedenen Fronten des Imperiums ausgetauscht wurden. Nach vielen Reminiszenzen, mariniert in Nostalgie und Übertreibung, rezitierte ein älterer Mann mit feuchten Augen einen Zweizeiler, den sie alle kannten: Such is the patriot’s boast, where’er we roam, his first, best country ever is at home. Und er hob sein Glas zu einem Trinkspruch auf Königin und Vaterland. Burton stieß mit an. Kaum hatte er sein Glas wieder abgestellt, donnerte seine Stimme und brachte alle anderen in der großen Runde zum Schweigen. Dieses Hoch, meine Herren, erinnert mich an einen grundsoliden Witz. Müssen Sie hören. Werden ihn nicht vergessen, garantiere ich Ihnen. Handelt von zwei Bandwürmern, Vater und Sohn. Sie werden aus dem After eines Menschen geschissen, Verzeihung, so geht der Witz, worauf Vater Bandwurm seinen Kopf aus der Scheiße streckt, sich ein wenig abschüttelt, um sich blickt und zufrieden zu seinem Sohn sagt: Immerhin ist es Heimat.
Sie setzten nach Frankreich über. Auf den Kontinent. Du wirst sehen, versprach er Naukaram, das Leben auf dem Festland ist erträglicher. Es hat mir in Ihrem Land nicht mißfallen, Saheb. Seine Eltern übersommerten in Boulogne. Sie führten eine bescheidene Existenz. Die Pension des Vaters erlaubte es ihnen, ein Häuschen zu mieten, mit einem kleinen Anbau für die Diener. Ein italienischer Koch namens Sabbatino stand seit Pisa, wo sie längere Zeit gelebt hatten, in ihren Diensten. Naukaram und Sabbatino mußten sich ein Zimmer teilen. Der Koch hatte es schon mit seinen Gerüchen besetzt.Sie waren nicht angenehm für Naukaram. Er und der Koch hatten keine gemeinsame Sprache, und ihre Gaumen waren einander von vornherein spinnefeind. Sabbatino war ein Mann, der große Bedeutung auf die Unversehrtheit seiner Gewohnheiten legte. Und der keinen Zweifel daran hegte, daß der Koch eine privilegierte Position unter der Dienerschaft innehatte. Die anderen Diener waren angestellt, um seine Arbeit zu erleichtern. Burton war selten zu Hause. Er verschwand auf lange Spaziergänge. Er genoß die Gegenwart junger Frauen seines eigenen Volkes. Naukaram war sich nicht klar über seine Position in dem kleinen Haus. Die Eltern des Saheb mieden ihn, sie gaben ihm nie eine Aufgabe. Er traute sich nicht, alleine auszugehen; er fürchtete, sich zu verlaufen. Ihm blieb nichts anderes übrig, als in seinem kleinen Zimmer zu sitzen und zu warten. Der Koch hingegen hatte den ganzen Tag zu tun; selten sah Naukaram ihm dabei zu. Wenn er sich in die Küche wagte,
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