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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Frau des Lahiya vor. Er werde heute nicht kommen, wofür er sich entschuldige. Er habe sie geschickt, weil er den Abschluß der Geschichte nicht selbst erfahren wolle.
    – Wieso nicht?
    – Aus alter Tradition. So wie kein Mensch das gesamte Mahaabhaarata lesen sollte.
    – Das wußte ich nicht. Ich habe etwas Ähnliches einmal von Burton Saheb gehört. Er sagte mir, die Araber glaubten, sie würden innerhalb eines Jahres sterben, wenn sie alle Geschichten aus Tausendundeiner Nacht gehört haben.
    – Aberglaube.
    – Gehört er nicht der Satya Shodak Samaj an ? Ich dachte, er verachtet jeden Aberglauben.
    – Er nennt es Überlieferung. Jeder Mensch ist abergläubisch. Manche geben ihrem Aberglauben einen anderen Namen. Können wir beginnen? Ich habe nicht viel Zeit. Heute nachmittag sind die Enkelkinder bei mir.
    – Und die Bezahlung? Was hat er Ihnen über die Bezahlung gesagt?
    – Er hat nichts erwähnt. Wahrscheinlich hat er es vergessen. Wissen Sie, er hat bestimmt genug von Ihnen erhalten. Vergessen wir die Bezahlung.
    – Nicht seine Bezahlung, meine Bezahlung.
    – Ihre Bezahlung?
    – Er muß mich bezahlen.
    – Ich verstehe nicht.
    – So haben wir es vereinbart. Er zahlt mir Geld, damit ich ihm die Geschichte zu Ende erzähle.
    – Das kann ich nicht glauben. Er hat den Verstand verloren. Seit wann geht das schon so?
    – Nicht erst seit gestern. Ein paar Wochen schon. Ich hätte sonst nicht weitererzählt. Sie kennen ihn ja, er ist neugierig.
    – Er ist völlig verrückt. Wer hat so etwas schon einmal gehört. Ein Lahiya, der seinen Kunden bezahlt. Er benimmt sich sonderbar, seitdem Sie zu ihm gekommen sind. Aber so etwas, das macht ihn vollends zum Gespött.
    – Nur, wenn Sie es jemandem sagen. Unsere Vereinbarung lautet, kein Wort darüber zu verlieren.
    – Er wird was zu hören kriegen von mir.
    – Erwähnen Sie es nicht. Bitte. Es würde so viel für ihn zerstören.
    – Was sind Sie jetzt, sein Verbündeter? Sie haben sich ständig gestritten. Das weiß ich wohl, er hat sich bei mir beschwert.
    – Wir waren zusammen unterwegs. Das zählt viel. Lassen Sie es sein, wie es ist.
    – Gut. Und jetzt, was machen wir mit dem Ende der Geschichte?Eigentlich interessiert es mich nicht, und da ich kein Geld dabeihabe …
    – Ich verlange nichts. Es wird mein Abschiedsgeschenk an Ihren Ehemann sein. Obwohl er es nicht lesen wird. Wer weiß, vielleicht ändert er seine Meinung. Schreiben Sie auf, es ist nicht viel, wir können das Ende doch nicht verschlucken.
    – Gut. Hat das Ende eine Überschrift?
    – Auf dem Schiff. Schreiben Sie: Auf dem Schiff. Und dann schreiben Sie: Ankunft im Land der Firengi.
    – Klingt gut.
    – Werden Sie so viele Kommentare abgeben wie Ihr Mann?
    – Nein, von nun an schweige ich. Sie werden sehen, nicht einmal ein Seufzer wird über meine Lippen dringen.
    – Das Schiff hieß Elisa, und ich dachte, es sei ein Totenschiff. Burton Saheb sah schlecht aus. Sein Körper war ausgezehrt, seine Haltung gebeugt, seine Augen eingefallen, seine Stimme ohne Fülle. Er hatte Erlaubnis erhalten, nach Hause zurückzukehren. Um sich dort zu erholen. Wenn er sich überhaupt erholen würde. Ja, ich glaubte, das Schiff sei ein Totenschiff. Nicht nur ich. Einer seiner Freunde in Bombay hatte zu ihm gesagt: Es steht dir ins Gesicht geschrieben, daß deine Tage gezählt sind. Hör auf mich, fahr nach Hause, um dort zu sterben. Bald nach dem Auslaufen gerieten wir in eine Flaute. Das Wasser war so glatt, Burton Saheb sagte, das Meer sei ein Friedhof der Wellen. Ich pflegte ihn, so gut ich konnte, ich dachte, was werde ich machen in diesem unbekannten Land, wenn mein Herr stirbt. Werde ich dann auch sterben? Meine Sorgen, sie hielten nicht an. Wind kam auf, wir segelten mit den starken Winden aus Südosten in gesündere Gefilde. Burton Saheb erholte sich erstaunlich schnell, und noch ehe wir das Land der Angrezi erreichten, war er wiederhergestellt. In diesen Tagen waren wir uns so nahe wie nie zuvor und nie mehr danach. Er vertraute mir an, was geschehen war im Sindh, wieso er sich zuerst krank gestellt habe, ohne zu wissen, daß er wirklich schwer erkranken würde. Unter den Angrezi kursierten die Gerüchte über seine Besuche in dem Bordell, verzeihen Sie bitte, in dem Männer sich anboten. Es wurde behauptet, Burton Saheb habe zu gründlich gekundschaftet. Er habe nicht nur recherchiert,sondern auch probiert. Sein Ruf war beschädigt. Und seine Vorgesetzten, die von der Wahrheit wußten,

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