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Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Der Weltensammler: Roman (German Edition)

Titel: Der Weltensammler: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ilija Trojanow
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Bekir Ratib Effendi
    Botschafter der Hohen Pforte in London
     
     
     
    – Ich kenne dich!
    – Mich? Sie meinen mich?
    – Ja, dich da, ich kenne dich.
    – Wie kann das sein, Effendi?
    – Bleib stehen.
    – Ein Irrtum.
    – Dein Gesicht, es ist nicht das gewöhnlichste.
    – Sie täuschen sich. Wir sehen alle gleich aus.
    – Reist du nach Alexandria?
    – Nein.
    – Wohin?
    – Ich fahre auf Hadj, mashallah.
    – Auf einem britischen Schiff?
    – Ich war im Land der Franken.
    – Als Diener?
    – Als Händler.
    – Eine lange Überfahrt, nicht wahr?
    – Ja, eine lange Überfahrt.
    – Stürmische See heute. Bekommt euch Leuten nicht so gut, oder? Bald hast du ja wieder festen Boden unter den Füßen.
    – Es macht mir nichts aus, ja, fester Boden, das ist besser, natürlich.
    – Warte, du stammst aus Indien, nicht wahr?
    – Nein.
    – Doch, doch, wir sind uns dort begegnet.
    – Nein, ich war in meinem ganzen Leben nicht in Indien.
    – Dein Englisch aber, du sprichst mit dem Anklang eines Inders.
    – Mein Englisch ist nicht gut.
    – Wieso bist du so sehr darauf erpicht, daß wir uns noch nie gesehen haben?
    – Sagen wir also, wir kennen uns, aber da wir uns nicht daran erinnern, von woher wir uns kennen, ist es doch so, als würden wir uns nicht kennen.
    – Wie heißt du?
    – Mirza Abdullah.
    – Aus Persien, nicht wahr? Du stammst aus Persien! Mirza? Ein Shia, oder?
    – Wie lautet Ihr hochgeschätzter Name?
    – So eine Unverschämtheit, das wäre in Indien undenkbar … Captain Kirkland, wenn du es unbedingt wissen mußt.
    – Wenn wir über meinen Glauben sprechen, sollten wir uns wenigstens vorgestellt haben.
    – Nun, Abdalla, ein vornehmes Gesicht hast du, das muß ich dir lassen, und ich vergesse nie ein vornehmes Gesicht. Wir laufen Alexandria erst morgen an. Bis dahin fällt mir bestimmt ein, wo wir uns begegnet sind.
    – Inshallah, Captain Kirkland. Es wäre schön zu erfahren, was uns verbindet.
     
     
     
    Was für ein arroganter Grobian. Nicht zu fassen. In Bombay, zu seiner Zeit, da hat er kleine Brötchen gebacken. Einer aus der unscheinbaren Füllmasse am unteren Ende der Rangordnung. Eine Witzfigur in der Messe. Konnte sich die Namen seiner Untergebenen nie merken. Einer der Wichte. Der Appetit wächst mit dem Aufstieg, ebenso die Selbsteinschätzung. Wie der ihn gerade behandelt hat! Dieser aufgeblasene Versager bildet sich ein, er sei etwas Besseres.Er bräuchte einen Tritt in den Hintern, aber das kann er sich leider nicht erlauben, nicht jetzt, nicht als Mirza Abdullah. Würde zuviel Aufmerksamkeit auf ihn lenken. Er ist gefangen, gefangen in dieser Rolle, und allen Dummköpfen ausgeliefert. Das Gewand anzulegen, das war leicht, und gar nicht so schwer, sich an Anstand und Etikette zu erinnern. Nun muß er lernen, die Erniedrigungen auszuhalten. Vornehmes Gesicht? Was weiß diese kastrierte Vogelscheuche, dieser Nichtswuchs, von vornehmen Gesichtern? Erstaunlich, daß dieser Barbar aus Wiltshire ihn wiedererkannt hat. Ein halbes Dutzend Jahre haben sie sich nicht gesehen. Wie hat er hinter seine Gewänder, hinter das Walnußöl, hinter den vollen Bart geblickt? Möglich, daß ihn sein Gang verraten hat, seine Haltung. Darauf achtet einer wie Kirkland, der seine Tage auf dem Exerzierplatz verbringt. Er war sich seiner Sache allerdings nicht so sicher gewesen, wie er behauptete. Darauf ist bei diesen Spatzenhirnen Verlaß: Sie plustern sich auf, wenn sie sich ihrer Sache unsicher sind. Vor den Einheimischen selbstverständlich, nur vor den Einheimischen. Eine Warnung, diese Begegnung, ohne Zweifel, ein hilfreicher Wink des Schicksals. Sei vorsichtig, hüte dich vor Zufällen, sie bringen die allzu Selbstsicheren zu Fall.
     
     
     
    – Ich möchte einen Paß beantragen.
    – Wo kommst du her?
    – Aus Indien.
    – Wozu brauchst du einen Paß?
    – Für die Hadj.
    – Name?
    – Mirza Abdullah.
    – Alter?
    – Dreißig.
    – Betätigung?
    – Arzt.
    – Arzt? Soso, ein Arzt aus Indien? Soll ich nicht Quacksalber hinschreiben?
    – Scharlatan wäre mir lieber.
    – Du wagst es, mir zu widersprechen?
    – Im Gegenteil. Ich bestätige nur Ihr Urteil.
    – Besondere Kennzeichen, abgesehen von Unverschämtheit?
    – Keine.
    – Das kostet einen Dollar.
    – Einen Dollar?
    – Dafür erhältst du den Schutz des mächtigen britischen Imperiums. Das wird dir doch einen Dollar wert sein.
    – Das große Imperium benötigt meinen Dollar?
    – Schweig, du Henne, sonst laß ich dich

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