Der Weltensammler: Roman (German Edition)
sicherer unterwegs sein. Da Sie bewandert sind in den Geheimnissen der Medizin, sollten Sie Ihre Kenntnisse anwenden, auch wenn es bei uns wimmelt von Ärzten, aber wer mit Erfolg wirkt, der wird schnell bekannt und erfährt einen Respekt, der nützlich sein kann. Ich merke, Sie wählen Ihren eigenen Weg durchs Leben, das weiß ich zu schätzen, nur ergibt sich die Gelegenheit selten, anderen seinen Weg zu erklären. Die Dummköpfe, die werfen alles in einen Topf, und dann zerschlagen sie ihn, weil er die falsche Form hat. Sheikh Abdullah, Sie werden mein Freund sein, aber hüten Sie sich vor Offenheit und Ehrlichkeit. Verbergen Sie stets, wie wir zu sagen pflegen, Ihre Ansichten, Ihre Absichten und Ihre Aussichten.
An den Gouverneur des Hijaz
Abdullah Pascha
Djidda
Unseren Informationen nach hat der Ungläubige, der die Hadj unternommen und einen Bericht darüber verfaßt hat, schon in Hindustan als Spion gedient. Wir können nur folgern, daß die RoyalGeographical Society als Camouflage dient für das Auskundschaften jener Regionen, die noch nicht der britischen Königin untertan sind. Für uns steht nicht die Schändung der heiligen Stätten im Vordergrund, sondern die Sorge um die geheimen Absichten des britischen Imperiums. Der als Safarnamah verkleidete Bericht, ein Steinbruch genauer Beobachtung und Berechnung, ist erstaunlich kenntnisreich – unsere Ulema haben die Gelehrsamkeit des Autors bestätigt, doch Wissen ist nicht Glauben, fügen sie hinzu. Wir müssen annehmen, daß der Autor den gemeinen Lesern nicht alles anvertraut. Wir vermuten, daß Leutnant Richard Francis Burton unsere Position im Hijaz ausspioniert hat, die Stärke unserer Truppen sowie die Beschaffenheit unserer Verteidigungsanlagen. Wir vermuten weiter, daß er die Einstellung der Beduinen zu unserer Herrschaft und ihre Bereitschaft, die Waffen gegen uns zu erheben, erforscht hat. Wir senden anbei alle relevanten Dokumente: eine Liste der Personen, die mit ihm gereist sind, Kopien der wichtigsten Textstellen samt seiner gelegentlich sehr aufschlußreichen Kommentare, Fußnoten und dergleichen mehr. Prüft mit Sorgfalt, ob dieser Mann alleine unterwegs war, ob er gegebenenfalls Helfer und Helfershelfer hatte, ob er in irgendeiner Weise aufgefallen ist und ob sein Verhalten uns irgendeinen Aufschluß über seine Absichten geben kann. Anhand der Zeugnisse über seine Handlungen während der Hadj werden wir begreifen, wie sein Auftrag lautete und in welche Richtung die politischen Überlegungen seiner Auftraggeber zielen. Der Sultan vermutet, dies könnte auf einen gewaltigen unterirdischen Fluß hinweisen, der die Fundamente unserer Macht im Hijaz zu unterspülen droht. Bedenkt, daß Abdulmecids Scharfsinn schon oft die engen Grenzen unseres Verstandes beschämt hat, und werdet tätig, mit Gottes Hilfe.
gez. Großwesir Reshid Pascha
Die Sonne muß untergehen und der Mond schrumpfen, bis Kairo sich öffnet, wie eine Muschel, und seine Schönheit in Silhouetten offenbart.Sommerliche Sterne, auf die unsichtbare Bedürftigkeit gestreut, sprechen von einer besseren Schöpfung. Streifen von Indigo trennen die Stirnen der Häuser. Mit jedem seiner Schritte taucht er in Blei ein. Ist es das, was ihn immer wieder in die Fremde zieht – die vorübergehende Blindheit? In England, sanft, grün und manierlich, lag alles aufgeschlagen da. Wie kann ein Land so geheimnislos sein? Schwere Balkons mit hölzernem Gitterwerk verzahnen sich in der Flucht; jeder Weg gaukelt eine Sackgasse vor. Was er sonst noch erkennen kann, entschlüpft mit Hilfe schwacher Öllampen der festen Umarmung der Nacht. Durchgänge, Aufgänge, goldene Lichtspenden fließen über die Treppen hinab. Keine Linie ist gerade; in diesen Breiten wird der Bogen bevorzugt, angebetet sogar. Die Rundung, daran läßt sich nicht rütteln, stärkt den Glauben mehr als der rechte Winkel. Zumal wenn sie fein beschrieben ist mit heiligen Worten. Gebäude nagen an der Gasse, vorspringende Pfeiler stellen sich plötzlich auf wie unscheinbare Wachen. Zuerst sieht er nur das Minarett über dem Dachgesims und dann, auf einmal, die leuchtende Einladung der Gewölbe. Es ist Zeit für ein weiteres Gebet. Er hört auf den eigenen Atem, während er seine Hände in das Becken taucht und jeden Finger einzeln wäscht. Das Plätschern ist einlullend. Seine nassen Füße trocknen mit jedem Schritt auf den Teppichen. Er findet Platz neben einem Pfeiler. Jedes Wort wäre sinnlos
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