Der Weltensammler: Roman (German Edition)
ein Spurenleser der Gebrechen, er vermag Krankheiten zu ertasten. Mittlerweile waren es überwiegend Patriarchen, die ihn riefen, Männer mit fester Stimmeund Fettsucht, denen Gicht und Mißmut zu schaffen machten. Herrschaften, die ihn wie einen König empfingen und wie einen Fälscher bezahlten. Väter, die das Leben ihrer Kinder in seine Hände legten.
Eines Tages rief einer von ihnen den Arzt zu sich, um mit vielen pietätvollen Wendungen auszuloten, ob er auch bereit sei, die Frau des Hauses zu behandeln. Und der Arzt, der sich seit längerem ausgemalt hatte, wie es wäre, Zugang zum Harem zu erhalten, dem letzten ihm verschlossenen Bereich, verbarg seine Freude hinter dem feierlich vorgetragenen Gebot, es sei seine Pflicht, jedem Menschen beizustehen, ungeachtet seiner Herkunft, seines Einkommens, seines Geschlechts. Worauf der Patriarch von den Beschwerden seiner Frau berichtete, von Schmerz und Brechreiz, Symptome, die fast jeder Krankheit geschuldet sein konnten. Nur meine Untersuchung, erwiderte der Arzt, kann Aufschluß geben über die Natur der Erkrankung. Schon einmal, bald nach seiner Ankunft in Kairo, hatte er Frauen behandelt, Sklavinnen aus Abessinien. Der Eigentümer, der gegenüber der Karawanserei lebte, hatte den Arzt um Hilfe in einer Angelegenheit gebeten, die ihn zur Verzweiflung treibe. Sheikh Abdullah hatte eine tödliche Krankheit und das eigene Versagen befürchtet. Die Sklavinnen waren in einem elenden Zimmer zusammengepfercht. Sie blickten ihn offen an, sie kicherten. Der Sklavenhändler deutete auf eine der jungen Frauen. Sie ist schön, hatte er gesagt, sie ist mindestens fünfzig Dollar wert. Ihr Gebrechen allerdings drückt den Preis. Der Fehler ist mir beim Kauf nicht aufgefallen. Nicht, daß ich ihn hätte bemerken können. Auch der Arzt konnte nichts Ungewöhnliches an der Frau erkennen, abgesehen von ihrem gewaltigen Gesäß, aber das gehörte wohl zu den Merkmalen, die ihren hohen Wert bestimmten. Vielleicht könnten Sie mir erklären, worin ihr Gebrechen besteht, hatte er gefragt. Selbstverständlich, schließlich können Sie es tagsüber gar nicht feststellen. Das Grinsen des Sklavenhändlers war ungenießbar. Sie schnarcht! Wie ein Nashorn. Sheikh Abdullah lachte auf, aus Erleichterung. Ein Nashorn? Ungewöhnlich, nicht wahr? Die anderen amüsieren sich darüber, sie sind jung, sie können trotzdem schlafen. Diese kleine Schwäche, sie stellt für mich keinerlei Herausforderung dar. Ichbin berühmt in meinem Land, einer meiner Namen lautet Ghargharesha , und Sie werden staunen, was das bedeutet: der Eroberer des Schnarchens. Die Erleichterung setzte auch beim Sklavenhändler ein. Eine Hypnose später war die junge Frau geheilt, zumindest behauptete es der Arzt. Der Sklavenhändler versprach zu zahlen, nachdem er die nächste Nacht abgewartet hatte. Einer seiner leichtesten Erfolge.
Ein Diener des Patriarchen sprach ihn an, er möge ihm bitte folgen. Der Arzt ging seinen Erwartungen entgegen: langes, lockiges, tuscheschwarzes Haar, samtige Haut, schlanke Arme, die Fortsetzung des Augenlächelns, das ihn in den Gassen ansprach, mit anderen Reizen. Er kannte das Alter der Patientin nicht, vielleicht war seine Erregung verfrüht. Dem Diener hinterher, einige Treppen hinauf, an einem Balustergeländer entlang, zu einer Tür. Der Diener blieb stehen, drehte sich zum Arzt um und fragte ihn, welches seiner Augen stärker sei. Der Arzt, unvorbereitet, wußte keinem seiner Augen den Vorzug zu geben. Der Diener trat hinter seinen Rücken, zog eine schwarze Binde über das linke Auge des Arztes und schnürte sie an seinem Hinterkopf fest. Er vergewisserte sich, daß die Binde richtig saß, erst dann öffnete er die Tür, vor der sie standen. Wenn Frauen nur halb soviel wert sind wie Männer, kam dem Arzt in den Sinn, dann ist es nur billig, daß Männer sie nur halb zu Angesicht bekommen. Zunächst glaubte er, sie seien alleine, doch dann vernahm er ein Tuscheln. Er vermutete, daß einige Frauen hinter dem Paravent standen, der das Zimmer teilte. Vor ihm stand ein niedriges Bett, daneben einige breite, dicke Kissen. Nehmen Sie Platz, Sheikh, bat der Diener. Der Arzt nahm die würdevollste Sitzhaltung ein, zu der er fähig war. Er spürte, wie sich jemand von hinten näherte. Leicht, fast unmerklich wandte er seinen Kopf nach rechts, und aus dem Augenwinkel traten drei Frauen in sein Sichtfeld, drei Paar Pantoffeln, drei Überwürfe. Zwei der Frauen schienen die dritte zu stützen.
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