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Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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Wonach suchte ich? Ich war mir dessen nicht sicher. Da lagen ein halbes Dutzend laufender Vorgänge sowie Verbrecher fotos von Männern, die so aussahen, als ob sie für eine Handvoll Kleingeld zu töten bereit wären, und unter einem großen Briefumschlag fand ich ein halb verzehrtes Vollkorn sandwich mit Schinken und Senf. Jede Nummer, die ich wählte, war besetzt, also rief ich meine eigene Nummer zu Hause an. Ich schnippte den Umschlag auf und ließ ein paar Schwarz-Weiß-Fotos von Terry Ferriman herausgleiten. Es waren nicht die üblichen Porträts wie in den Verbrecheralben, von vorn und als Seitenprofil mit Nummern darunter, sondern eher Schnappschüsse. Sie trug die Motorradlederjacke und war ordentlich gekämmt. Vermutlich hatte De’Ath die Aufnahmen absichtlich so arrangiert, damit er sie Zeugen vorlegen konnteund so weiter, ohne es zu offensichtlich zu machen, dass das Mädchen in U-Haft saß.
    Ich steckte eins von den Fotos in meine Aktentasche, während mir meine eigene Stimme ins Ohr dröhnte, ich solle meinen Namen und meine Nummer hinterlassen, damit ich mich bei mir melden könne. Ich legte den Hörer auf und ging nach oben in mein Büro. Es war halb sieben und wurde schon dunkel draußen.
    Der erste Anruf kam kurz vor neun Uhr. Zwei Polizeibeamte hatten einen Mann aufgelesen, der splitternackt und in geduckter Haltung im Zentrum von L.A. herumlief. Ab und zu war er stehen geblieben, um den Mond anzuheulen. Ehrlich gesagt ist so ein Verhalten in La-La-Land, wie der Großraum Los Angeles im Volksmund heißt, gar nicht mal so selten, aber die Streifenpolizisten gaben an, dass er zwei Mädchen angefallen hatte, nach deren Aussagen er ihnen die Titten abbeißen wollte. Man hatte ihn nach seinem Namen gefragt, er darauf aber nicht geantwortet, nur geknurrt und geheult. Er wollte oder konnte auch meine Fragen nicht beantworten, was mir meine Arbeit unmöglich machte. Er weigerte sich, auf dem Plastikstuhl Platz zu nehmen, und hockte stattdessen auf allen vieren in einer Ecke des Zimmers. Als ich ihm das erste Mal zu nahe kam, spuckte er mich an, und zwei Beamte in Aids-Schutzkleidung stopften ihn in eine Zwangsjacke und hielten ihn auf dem Stuhl fest.
    »Was halten Sie davon, Doc?«, fragte einer der Männer, die Stimme gedämpft von der Atemschutzmaske und der weißen Kapuze.
    »Ich glaube, er ist auf einem Trip«, sagte ich. »Auf Angel Dust oder einer von diesen Designerdrogen aus dem CaliforniaInstitute of Technology. Am besten, man überlässt ihn ein paar Stunden sich selbst und wartet, ob er runterkommt. Lasst mal ein paar Blutuntersuchungen machen. Natürlich erst, nachdem er mit einem Anwalt gesprochen hat.«
    Die beiden Maskierten nickten im Duett, und ich fragte mich, ob sie vielleicht sauer waren, weil es nicht meine Aufgabe war, jeden ausgeflippten Junkie zu überprüfen, den sie von der Straße auflasen. Ich sollte mich auf die ernsten Fälle konzentrieren. Ich ließ sie damit allein und ging zu den Polizeibeamten zurück. Rivron hatte die Füße auf dem Tisch liegen und las in einer Zeitschrift.
    »’n Abend, Jamie«, sagte er, ohne aufzusehen. »Du bist spät dran.«
    »Ich hatte eine Verabredung mit einem Wolfsmenschen«, erwiderte ich. »Totale Zeitverschwendung. Manchmal glaube ich, die Cops machen sich einen perversen Spaß daraus, uns zu verarschen.«
    »Du darfst das gar nicht an dich ranlassen«, sagte er. Ich war Rivrons Chef, aber er war fünf Jahre älter als ich und oft schienen wir mit vertauschten Rollen zu spielen. Er gab mir Tipps, und ich befolgte sie oft, denn er war ein guter, zuverlässiger Psychologe und widmete der Lektüre von Fachliteratur viel mehr Zeit als ich. Rivron war einer von denen, die man vergisst, sobald sie aus dem Zimmer sind. Er hatte das ideale Statistengesicht für einen Kinofilm; ganz gleich, wie oft er im Hintergrund auftauchte, man würde sich partout nicht an ihn erinnern. So ziemlich alles an ihm war durchschnittlich.
    Er hätte sich auch gut als Verbrecher gemacht; man könnte sich gut ausmalen, wie die Cops ihre Runden machten undBeschreibungen am Tatort sammelten – durchschnittliche Körpergröße und Statur, braune Augen, braunes Haar, keine unveränderlichen Merkmale. »Würden Sie den Mann eventuell wiedererkennen, Ma’am?« Pause. Hüsteln. Peinlich berührter Blick. »Eigentlich nicht, Officer, nein.«
    Auch seine Kleiderwahl grenzte ans Unauffällige – Sportjacke, sauber gebügelte Flanellhosen, helles kariertes Hemd, Slipper,

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