Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)
dezente Socken. Er hatte seine eigene teure Praxis als Psychoanalytiker in Beverly Hills. Seinen Brotberuf nannte er das. Das LAPD beriet er unentgeltlich. Ein Gesprächsthema auf Dinnerpartys mit den Stars. Falls das bitter klingt, ignorieren Sie es bitte – ich bin bloß neidisch, weil ich keine Chance habe, Filmstars von meinen Verstrickungen mit dem Abschaum von L.A. zu erzählen. Seit Deborah mich verlassen hat, kann ich mit niemandem mehr über meine Arbeit reden.
Das Telefon schrillte und Rivron ging dran. Er machte sich ein paar Notizen und legte wieder auf. »Vampir gefällig?«, fragte er. »Unten in Zimmer D. Hat ein paar Penner gebissen.«
»Und sie kaltgemacht?«
Er schüttelte den Kopf. »Dem blüht sicher noch eine Alkoholvergiftung. Wenn nicht Schlimmeres.«
Das Telefon klingelte und dieses Mal ging ich dran. »Übernimm du das mal, ich mach das hier«, sagte ich zu Rivron und der hob seufzend seine Aktentasche auf. Darin waren sein Notebook und eine Kopie des Beaverbrook-Programms. Er winkte, als er an der Tür vorbeiging, und ich winkte zurück.
»Beaverbrook«, sagte ich. Es war ein diensthabender Sergeant. Sie hatten einen Fall für mich. Angeblich hielt sich der Delinquent für besessen. Ich stutzte aber, als sich herausstellte,dass er von einem Teenager redete, den man am Steuer eines gestohlenen Rolls-Royce erwischt hatte.
»Das kann doch nicht Ihr Ernst sein?«, sagte ich.
»Doch, Doc, der behauptet glatt, er ist von Rolls-Royces besessen«, lachte der Sergeant und legte auf. Lustig, lustig, tralalala!
Sie halten dieses ganze Getue um den Vollmond für gequirlte Scheiße? Ein Satellit, der zischend die Erde umkreist, kann unmöglich das Verhalten von Milliarden kleiner Menschen beeinflussen, die tief unten ihren Geschäften nachgehen? Die meisten Wissenschaftler würden Ihnen ins Gesicht lachen, wenn Sie behaupten würden, der Mond sei an abscheulichem Treiben schuld, aber fragen Sie doch mal einen beliebigen diensthabenden Polizisten, der erzählt Ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, dass die Irren bei Vollmond ganz aus dem Häuschen sind. Na ja, vielleicht haben die zu viele Horrorfilme gesehen, und es ist eigentlich keine Reaktion des Körpers, sondern nur so ein Reflex à la pawlowsche Hunde: den Mond sehen und heulen. Aber das läuft doch auf dasselbe hinaus, oder? Ich habe jedenfalls genügend Grundlagenforschung betrieben, um zu wissen, dass es bei Vollmond einen statistisch signifikanten Anstieg der Kriminalität gibt. Ich bin dazu übergegangen, Tatverdächtige, die das erste Mal bei Vollmond getestet wurden, ein zweites Mal zu überprüfen, lasse sie ein paar Wochen nach der Festnahme durch das Programm laufen und vergleiche die Ergebnisse. Da gibt es einen Unterschied. Sicher keinen großen – die Kurven verändern sich nicht so dramatisch, dass ein zum Zeitpunkt der Tat unzurechnungsfähiger Mensch bei abnehmendem Mond wieder zurechnungsfähig wird, aber eine gewisse Wirkung zeigtsich schon. Wenn ich genügend Rohmaterial gesammelt habe, schreibe ich darüber mal was für eine der nicht ganz so seriösen Fachzeitschriften, aber ich kann jetzt schon absehen, wie man mich dafür durch den Kakao zieht.
Viele Menschen reagieren instinktiv auf den Mond. Ohne groß darüber nachzudenken, gehen sie einfach davon aus, dass sie bei Vollmond leichter betrunken werden oder in Streit geraten. Viele Bauern glauben, die Ernte falle besser aus, wenn man die Saat bei zunehmendem statt bei abnehmendem Mond ausbringt. Den Grund wollen sie gar nicht wissen; sie glauben einfach daran.
Einer Theorie zufolge soll der Einfluss des Mondes auf den Menschen ja von den Gezeiten abhängen, also dieselbe Anziehungskraft auf das Wasser in unserem Körper wie auf die Meere des Planeten haben. Da unser Körper zu über achtzig Prozent aus Wasser besteht, könnte die Anziehung des Mondes also auch die Konzentration der Chemikalien im Körper und deren Reaktionen beeinflussen. Nach einer anderen Hypothese soll es etwas mit dem Mondlicht zu tun haben, ähnlich wie bei SAD, der sogenannten saisonal-affektiven Störung. Darunter leiden schätzungsweise einer von hundert Menschen, und zwar überwiegend Frauen. Diese jahreszeitlich bedingte Depression tritt in der Regel zwischen Oktober und März auf und soll eine milde Form von Lichtdefizit bei Menschen sein, deren Hormone sich nicht dem jahreszeitlich bedingten Lichtmangel anpassen können. Betroffene neigen zu depressiven Stimmungen, Ängsten und
Weitere Kostenlose Bücher