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Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Wert des Blutes: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Leather
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andere, weiter zurückliegende, intakt. Vielleicht hatte ich ja Glück.
    »Er hat mir gefallen«, log ich lächelnd.
    »Quatsch«, sagte er.
    »Es war eine gute Geschichte.«
    »Sind Sie etwa Kritiker?«, schnaufte er. »Beide Daumen nach oben, was?« Seine Brust bebte, und eine Sekunde lang dachte ich, er hätte so was wie einen Anfall, doch dann merkte ich, dass der alte Mann lachte. Aus dem Mund kam nur ein klägliches Krächzen, aber die Fältchen um die Augen hatten sich zusammengeschoben und die Furchen zu beiden Seiten des Munds zu einem Lächeln verzogen.
    Schwester Orlowski kam herüber und tupfte Turners Gesicht mit einem Taschentuch ab. »Bitte regen Sie uns nicht zu sehr auf«, sagte sie zu mir.
    Ich musterte ihre knapp sitzende Schwesterntracht, die ihre Figur alles andere als verhüllte. Falls irgendetwas den alten Mann würde erregen können, dann sie; ihr Sexappeal reichte, um Tote zum Leben zu erwecken. Wie sich das wohl anfühlte, alt und an einen Rollstuhl gefesselt zu sein und eine sexy junge Blondine wie Schwester Orlowski alles, was du brauchst, für dich tun zu lassen? Das Gesicht abwischen, dich füttern, dich baden, dich auf die Toilette bringen. Jede Wette, dass in seiner Jugend Maienblüte die Mädchen Schlange standen, um mit ihm zu schlafen. Und dass er sich ihrer kaum erwehren konnte. Damals hatte er so gut ausgesehen, war reich und berühmt gewesen. Und was nützte ihm das jetzt? Er war nur eine ausgetrocknete Hülle, eine Schale, und die Blondine mit der Figur, die einen Mann schier verrückt machen konnte, behandelte ihn wie einen Säugling und wartete darauf, dass er starb.
    »Ich bin auch vorsichtig«, sagte ich, als sie wieder zu ihrem Buch zurückging.
    Turners Augen schlossen sich langsam und dann wurde er ruckartig wach. Die Klauenhand zuckte, die Augenlider flatterten und dann wurde er ruhig, aber die Augen waren offen und fixierten mich, während er darauf wartete, dass ich sprach. Ich wollte ihn fragen, wie es war, so alt zu sein, dem Tod so nahe. Ich kannte die Statistik, wusste, dass ich eine gute Chance hatte, so zu enden wie Greig Turner, sollte ich auch so lange leben.
    Im Alter von fünfundachtzig Jahren bekommt einer von vier Menschen Alzheimer; er ist die vierthäufigste Todesursache inder westlichen Welt nach Herzkrankheit, Krebs und Schlaganfall. Er ist unheilbar, er mag erblich oder eine Krankheit sein, aber wenn man ihn hat, kann man nichts dagegen tun; Millionen Hirnzellen sterben ab, und das war es dann. Die Mediziner hielten das früher für einen normalen Teil des Alterungsprozesses, von dem jeder mehr oder weniger stark betroffen ist, aber bereits neunzehn-hunderteins obduzierte der Schweizer Psychiater Dr. Alois Alzheimer eine Frau, die in ihren Fünfzigern gaga geworden war, und entdeckte bei ihr krankhafte Hirnveränderungen. Nach ihrem Entdecker wurde diese Krankheit dann benannt. Das Gute daran ist, dass man als Betroffener nichts davon ahnt, dass man die Krankheit hat, wenn Sie wissen, was ich meine. Es ist wie der alte Witz. Arzt zum Patienten: »Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht. Die schlechte ist, dass Sie Aids, die gute, dass sie Alzheimer haben, also sind Sie in der Lage, es zu vergessen.« Haha.
    Bei Greig Turners Anblick und dem Speichel auf seinem Kinn kam mir Alzheimer gar nicht komisch vor. Es war keine Aussicht, auf die ich mich freute. Vielleicht wäre es besser, tot zu sein. Vielleicht. Ich wollte Turner fragen, ob ein solch langes Leben irgendwelche Vorzüge hatte, ob die Erinnerungen den schrecklichen Zustand wettmachen, in solch einem verfallenen alten Körper dahinzuvegetieren. Aber mehr als das wollte ich etwas über Terry Ferriman erfahren.
    »Mr. Turner, kennen Sie eine junge Frau namens Terry Ferriman?«
    »Nie von ihr gehört«, sagte er.
    »Terry Ferriman«, wiederholte ich. »Langes schwarzes Haar, etwa eins fünfundsechzig. Kluges Kind.«
    »So viele Mädchen«, keuchte er. »Glauben Sie denn, ich erinnere mich an alle?«
    Doch, dachte ich. An diese eine würdest du dich schon erinnern. Ganz gleich, wie viele für dich die Beine breit gemacht haben, diese würdest du nie vergessen. »Sind Sie sicher?«, hakte ich nach. Ob ich jetzt in einer seiner Gedächtnislücken gestrandet war?
    »Wann? Damals, als ich ein Star war? Gott, ich erinnere mich nicht an die Filme, geschweige denn an die Damen.«
    »Nein, es geht um die jüngste Vergangenheit. Innerhalb der letzten paar Jahre. Sie hatte Ihr Foto in ihrem

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