Der Wettlauf zum Suedpol
Messungen ungenauer waren. Wichtig waren auch die Entfernungsmesser, um die zurückgelegte Distanz genau bestimmen zu können. Sowohl Briten als auch Norweger verwendeten zu diesem Zweck ein hinter einem der Schlitten befestigtes leichtes Rad, das mit einem Zählwerk verbunden war. Beide hatten schon während der Depottouren erfahren müssen, dass der Schnee diese Zähler immer wieder verstopfte und die Messungen damit wertlos machte. Doch nur die Norweger hatten den Winter genutzt, um die Konstruktion zu verbessern, während das »Sledge-meter« der Briten immer noch so unzuverlässig arbeitete wie zuvor und schließlich ganz ausfiel.
Amundsen und seine Gefährten gerieten jetzt erneut in ein Gebiet mit zahlreichen Eisspalten, die allerdings sämtlich quer zur Fahrtrichtung verliefen und nicht allzu breit waren. Sie setzten ihre Fahrt fort und hatten nur eine brenzlige Situation zu überstehen, als Hansen mit seinen Skiern in einer Spalte hängen blieb, jedoch rasch gerettet werden konnte. »Diese Spalten sind eindrucksvoll, wenn man am Rand liegt und hineinsieht«, notierte Amundsen danach in seinem Tagebuch. »Ein bodenloser Abgrund, der von Hellblau zu tiefstem Schwarz übergeht. Die scheußlichsten Formationen, die wir hier gefunden haben, sind so riesige Löcher, dass die Fram und vieles mehr darin Platz hätten. Diese Löcher sind mit einer dünnen Kruste überzogen, und die kleine Öffnung, die sichtbar ist, scheint harmlos. Aber wenn man auf so eine hübsche Stelle gerät, ist man unrettbar verloren.… Uns allen geht es gut. Was wir alles aufs Spiel setzen, wenn wir durch diese unerfreulichen Gebiete ziehen! Jeden Tag haben wir von Neuem unser Leben selbst in der Hand. Aber niemand möchte umkehren – das ist gut zu wissen!«
Abb 129
Der aus einer Fahrradfelge gefertigte, hinten an einem der Schlitten befestigte Entfernungsmesser der Norweger war zuverlässiger als das britische »sledge-meter«.
Abb 130
Auf der bald tischebenen Schelfeisfläche musste Amundsens Team seltener rasten und kam rascher voran als eingeplant.
Dank der quer zum Südkurs gesteckten Markierung entdeckten sie ihr Vorratslager auf 82 Grad, obwohl sie im Nebel mehr als fünf Kilometer zu weit nach Westen geraten waren. Das war ein echter Triumph für Amundsen, bewies es ihm doch, dass es möglich war, in dieser Einöde Depots so gut zu kennzeichnen, dass sie mittels sorgfältiger Navigation auch bei schlechten Witterungsbedingungen wiederzufinden waren. »Wir machten uns sofort daran, alles zu tun, was getan werden musste«, so Amundsen danach über den unvermeidlichen Moment, an dem der erste Schlittenhund sein Leben lassen musste. »Zuerst wurde Uranus in die andere Welt geschickt. Obgleich er immer den Eindruck großer Magerkeit gemacht hatte, fanden wir beim Zerlegen doch seinen Rücken entlang dicke Fettschichten; die würden schon geschätzt werden, wenn wir hier auf dem Rückweg eintrafen … Jaala musste Uranus folgen. Beide wurden auf dem Vorratslager niedergelegt und daneben die acht Jungen, die das Licht der Welt nie erblickt hatten.« Wieder machten sie einige Tage Rast, packten ihre Schlitten um und hängten Kleidungsstücke zum Trocknen in der strahlenden Sonne auf. »Wir hatten vollständig erreicht, was beabsichtigt worden war«, notierte er zufrieden, »nämlich den Ausgangspunkt der eigentlichen Polfahrt von 78°38’ auf 82° südlicher Breite zu verlegen. «
Als die Männer am Morgen des 7. November zu ihrer Fahrt ins Unbekannte aufbrachen, waren sie mit Verpflegung und Brennmaterial für 100 Tage voll ausgestattet. Wenn es ihnen gelänge, ihren Zeitplan weiterhin einzuhalten, so hätten sie damit zum Pol gelangen und anschließend nach Framheim zurückkehren können, selbst wenn sie alle zuvor angelegten Depots verfehlten. Ursprünglich hatte Amundsen vorgesehen, ab diesem Punkt die komplette Ausstattung bis zum Pol mitzunehmen. Doch nach kurzer Diskussion entschied man sich, weiterhin auf jedem Breitengrad ein Depot anzulegen, um alles in allem schneller voranzukommen. Weil das Schelfeis nunmehr ganz eben war und eine ideale Schlittenstrecke nach Süden zu sein schien, sollte die Mannschaft die Breitengrade jeweils in drei statt vier Tagen überwinden und danach wie gehabt einen Tag ruhen.
Wieder ging es rasch voran. »Wir laufen wie die Windhunde über die endlose, glatte Schneefläche«, notierte Amundsen am 8. November. Am selben Tag tauchten in südwestlicher Richtung bräunlich-weiße Wolkenmassen
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