Der Widersacher
aus.
»Brauchen Sie einen Schluck Wasser, Mr. Hardy?«
Der alte Mann wischte das Angebot beiseite, hustete aber pfeifend weiter, bis seine Lippen von Speichel überzogen waren.
»Chilton ist ein paarmal mit ihm vorbeigekommen. Mehr aber nicht.«
»Hat er mal über den Jungen gesprochen?«
»Nur, dass er ganz schön anstrengend war. Manchmal verschwand seine Mutter einfach und ließ ihn bei Chilton. Und Chilton war nicht gerade der väterliche Typ.«
Bosch nickte, als wäre das eine wichtige Information.
»Wo ist Chilton jetzt?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt. Das weiß ich nicht. Er kommt mich nicht mehr besuchen.«
»Wann haben Sie ihn zum letzten Mal gesehen?«
Hardy kratzte die Stoppeln an seinem Kinn und hustete wieder in seine Hand. Bosch blickte zu Chu auf, der noch stand.
»Könntest du Mr. Hardy vielleicht ein Glas Wasser bringen, Partner?«
»Nein, nicht nötig«, protestierte Hardy.
Aber Chu hatte die Partner-Botschaft verstanden und ging den Flur hinunter, der an der Treppe vorbei zu einem Bad oder einer Küche führte. Bosch wusste, das würde es Chu ermöglichen, sich kurz im Erdgeschoss des Hauses umzusehen.
»Wissen Sie noch, wann Sie Ihren Sohn das letzte Mal gesehen haben?«, fragte Bosch noch einmal.
»Ich … nein. Das ist schon einige Jahre her … nein, ich weiß es nicht mehr.«
Bosch nickte, als wüsste er, wie sich Familien und Eltern und Kinder im Lauf der Zeit auseinanderleben konnten.
Chu kam mit einem Glas Leitungswasser zurück. Das Glas sah nicht besonders sauber aus. Es waren mehrere Handabdrücke darauf. Als er es Hardy reichte, schüttelte er in Richtung Bosch verstohlen den Kopf. Ihm war bei seinem kurzen Streifzug durch das Haus nichts Verdächtiges aufgefallen.
Hardy nahm einen Schluck Wasser, und Bosch setzte zu einem neuen Versuch an, etwas über seinen Sohn herauszubekommen.
»Haben Sie die Telefonnummer oder Adresse Ihres Sohns für uns, Mr. Hardy? Wir müssten wirklich dringend mit ihm reden.«
Hardy stellte das Glas neben den Aschenbecher. Dann fasste er an die Stelle, wo bei einem Hemd die Brusttasche gewesen wäre, aber sein Kittel hatte keine. Es war der automatische Griff nach einer Packung Zigaretten, die nicht da war. Bosch konnte sich erinnern, dass er das auch gemacht hatte, als er noch rauchte.
»Ich habe seine Telefonnummer nicht«, sagte Hardy.
»Und seine Adresse?«, fragte Bosch.
»Auch nicht.«
Hardy senkte den Blick, als würde ihm bewusst, dass diese Antworten ein Beweis für sein Versagen als Vater waren – oder für das seines Namensvetters als Sohn. Wie Bosch das bei seinen Vernehmungen häufig tat, sprang er nun mit seinen Fragen zusammenhangslos zwischen verschiedenen Themen hin und her. Auch den Grund ihres Besuchs ließ er einfließen. Inzwischen war ihm egal, ob der alte Mann mitbekam, dass sie nicht gegen Clayton Pell ermittelten, sondern gegen seinen Sohn.
»Ist Ihr Sohn bei Ihnen aufgewachsen?«
Hardys dicke Brillengläser vergrößerten seine Augenbewegungen. Die Frage rief eine Reaktion hervor. Rasche Augenbewegungen während der Formulierung einer Antwort galten als verräterisches Zeichen.
»Seine Mutter und ich haben uns scheiden lassen. Schon sehr früh. Deshalb habe ich nicht viel von Chilton mitbekommen. Wir haben weit voneinander entfernt gelebt. Seine Mutter – sie ist inzwischen gestorben –, sie hat ihn aufgezogen. Ich habe ihr Geld geschickt …«
Gesprochen, als wäre das Geld seine einzige Verpflichtung gewesen. Bosch nickte und behielt die verständnisvolle und mitfühlende Haltung bei.
»Hat sie Ihnen mal erzählt, dass es Probleme mit ihm gab oder sonst etwas in dieser Richtung?«
»Ich dachte … haben Sie nicht gesagt, Sie suchen diesen Jungen? Powell. Was interessiert Sie da, wie mein Sohn aufgewachsen ist?«
»Pell, Mr. Hardy. Clayton Pell.«
»Sie sind doch nicht seinetwegen hier, oder?«
Das war’s. Das Spiel war vorbei. Bosch stand auf.
»Ihr Sohn ist nicht hier, oder?«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, ich weiß nicht, wo er ist.«
»Dann haben Sie doch sicher nichts dagegen, wenn wir uns kurz nach ihm umschauen, oder?«
Hardy wischte sich den Mund ab und schüttelte den Kopf.
»Dafür brauchen Sie einen Durchsuchungsbeschluss«, sagte er.
»Nicht, wenn Gefahr im Verzug ist«, sagte Bosch. »Bleiben Sie doch einfach hier sitzen, Mr. Hardy, und ich sehe mich inzwischen kurz um. Detective Chu wird so lange bei Ihnen bleiben.«
»Nein, ich brauche keinen …«
»Ich will
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