Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Widersacher

Der Widersacher

Titel: Der Widersacher Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
Vom Netzwerk:
gestreiften Markisen denken.

[home]
    22
    E s war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen Bosch Chu fahren ließ. Er saß währenddessen mit Clayton Pell auf dem Rücksitz, um sofort einschreiten zu können, wenn dieser eine aggressive Reaktion zeigte. Pell hatte sich hinter einer Mauer aus kontrollierter Wut zurückgezogen, nachdem er kurz zuvor bei der Fotogegenüberstellung jedes Mal auf Chilton Hardys Bild gedeutet hatte. Bosch konnte diese Wut deutlich spüren, und er wollte sofort zur Stelle sein, falls sie zum Ausbruch käme.
    Hannah Stone saß auf dem Beifahrersitz, und Bosch hatte von seinem Platz sowohl Pell als auch sie im Auge. Stones Miene war besorgt. Dass Pells alte Wunden wieder aufgerissen werden sollten, belastete sie sichtlich.
    Bosch und Chu hatten die Fahrtroute bereits abgesprochen, bevor sie Pell im Buena Vista abgeholt hatten. Um die Tour an einem der Orte zu beginnen, mit denen Pell positive Kindheitserinnerungen verband, fuhren sie vom Rehabilitationszentrum zuerst zum Travel Town Museum im Griffith Park. Pell wollte aussteigen und sich die Züge ansehen, aber Bosch erklärte, dafür würde die Zeit nicht reichen. In Wirklichkeit wollte er nicht, dass Pell die Kinder in den Zügen sähe.
    Jetzt bog Chu in den Cahuenga Boulevard, um zu dem Haus zu fahren, in dem Chilton Hardy gewohnt hatte, als Pell und seine Mutter bei ihm gelebt hatten. Sie hatten ausgemacht, Pell das Mietshaus nicht zu zeigen, sondern abzuwarten, ob er es von selbst entdeckte.
    Als sie nur noch zwei Häuserblocks davon entfernt waren, zeigte Pell erste Anzeichen des Wiedererkennens.
    »Ja, hier irgendwo haben wir gewohnt. Ich hab immer gedacht, das hier wäre eine Schule, und wollte unbedingt dorthin.«
    Er deutete aus dem Autofenster auf eine private Kindertagesstätte mit einer Schaukel hinter einem Maschendrahtzaun. Bosch konnte sich gut vorstellen, dass ein Achtjähriger dies für eine Schule hielt.
    Sie näherten sich dem Mietshaus. Es war auf Pells Seite. Chu ging vom Gas und fuhr langsamer, was Bosch für einen stillschweigenden Fingerzeig hielt. Aber Pell sagte kein Wort, als sie an dem Wohnblock vorbeifuhren.
    Es war zwar keine Katastrophe, aber Bosch war enttäuscht. Er dachte bereits in den Kriterien eines Strafverfahrens. Hätte er bei einem Prozess zu Protokoll geben können, dass Pell von sich aus auf das Mietshaus gedeutet hatte, hätte das Pells Darstellung gestützt. Wenn sie Pell dagegen ausdrücklich auf das Haus aufmerksam machen mussten, konnte ein Strafverteidiger geltend machen, dass Pell die Polizei instrumentalisierte und mit seiner Zeugenaussage lediglich seine Rachegelüste zu befriedigen versuchte.
    »Und? Schon was gesehen?«, fragte Bosch.
    »Ja, ich glaube, wir sind gerade dran vorbeigefahren. Aber sicher bin ich mir nicht.«
    »Sollen wir umdrehen?«
    »Wenn es Ihnen nichts ausmacht.«
    »Klar, kein Problem. Auf welcher Seite ist es?«
    »Auf meiner.«
    Bosch nickte. Das hörte sich schon wesentlich besser an.
    »Wir wenden nicht«, sagte er zu Chu, »sondern biegen rechts ab und fahren einfach einmal um den Block, damit es wieder auf Claytons Seite ist.«
    »Alles klar.«
    An der nächsten Kreuzung bog Chu rechts ab, und bei der ersten Gelegenheit fuhr er wieder rechts und drei Straßen zurück, bevor er erneut rechts abbog und an der Kreuzung, an der die Tagesstätte war, wieder auf den Cahuenga Boulevard stieß. Das Mietshaus befand sich jetzt wieder eineinhalb Häuserblocks vor ihnen.
    »Ja, da vorn ist es«, sagte Pell.
    Chu fuhr deutlich unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Ein Fahrer hinter ihm hupte und überholte ihn schließlich. Niemand im Polizeiauto nahm davon Notiz.
    »Das ist es«, sagte Pell. »Glaube ich.«
    Chu hielt am Straßenrand. Es war die richtige Adresse. Niemand sagte ein Wort, als Pell auf die Arcade Luxury Apartments hinausschaute. Der zweistöckige Bau mit den runden Pseudotürmchen an den beiden Ecken war eine typische Fünfziger-Jahre-Bausünde. Diese Häuser waren im Zuge des damals in Los Angeles herrschenden Baubooms so geplant und gebaut worden, dass sie dreißig Jahre halten würden, und jetzt waren sie schon doppelt so alt. Die Fassade war rissig und verfärbt, der Dachabschluss hatte sich verzogen, und das undichte Dach eines der Türmchen war provisorisch mit einer blauen Plastikplane repariert worden.
    »Damals hat das alles irgendwie schöner ausgesehen«, sagte Pell.
    »Sind Sie sicher, es war dieses Haus?«, fragte Bosch.
    »Ja, auf jeden

Weitere Kostenlose Bücher