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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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aufmerksam verfolgt, jedes fertige Bild veranlasste Bros zu immer heftigeren Ausbrüchen von Freude und Bewunderung.
    Erst, als mit den Geschichten aus der Nachbarstadt auch der erste Brief von Gerlach eintraf, wurde Bros unsanft aus seinem wunderbaren Rausch erweckt, den Ferdinands Kunst in ihm auslöste.
    Die Empörung über die bloße Vermutung von Gerlach, diesem undankbaren Halsabschneider, Bros sei offenkundig nicht der Schöpfer jener bemerkenswerten Zeichnungen, aber sicher kein Hochstapler, der fremde Bilder unter seinem Namen verkaufen wolle! – diese Unterstellung löste in Bros eine unbändige Wut und tiefe Beschämung aus; immerhin entsprach Gerlachs Verdacht ja leider der Wahrheit.
    Andererseits gefiel dem Meister insgeheim die unfeine Idee, sich Ferdinands Können zu Nutze zu machen.
    Bros wusste selbst und gleichzeitig als Einziger, dass Ferdinand der eigentliche Künstler war – aber wer würde das glauben? Dieses Kind war zwar hübsch und freundlich, aber nichtsdestotrotz nur ein Kind, dem man nicht einmal Lesen und Schreiben zutrauen würde.
    Auch seine Frau wusste nichts von Ferdinands Begabung – sie hielt sich wie eh und je aus der Werkstatt heraus und hatte von den bisherigen Werken noch keines zu Gesicht bekommen.
    Bros lächelte.
    Vielleicht gelangte er ja auf diesem Weg endlich zu seinem verdienten Ruhm.
    * * *
    Zwei Wochen später kamen Bros und Ferdinand in Amsterdam an.
    Gerlachs zahlreiche Schreiben hatten es nicht geschafft, Bros umzustimmen – im Gegenteil. Seitdem der Meister den angeblichen Preis erfahren hatte, den Gerlach für seine – seine! – Werke erhalten hatte – nichts im Vergleich zu dem, was er selbst von seiner Frau ausgezahlt bekommen hatte! –, seitdem war Bros von dem Ehrgeiz zerfressen, berühmt und vor allem reich zu werden.
    Reich und berühmt!
    Der berühmte Bros aus den Niederlanden!
    Das war immerhin sein gutes Recht!
    Nur einen einzigen jämmerlichen Kompromiss hatte Gerlach ihm vorgeschlagen: Nämlich, ihn auf dieser beschwerlichen Reise zu begleiten, um bei seinen dortigen Handelspartnern den Preis in die Höhe zu treiben – vergeblich. Bros war eisern geblieben: Er wollte selber verkaufen! Und Gerlach wollte er bei der Reise ganz bestimmt nicht dabeihaben. Vielleicht – so formulierte er es in dem einzigen Antwortschreiben an diesen – suche er sich in Amsterdam endlich einen neuen Geschäftspartner, einen, der ihn nicht verdächtige, nicht der Schöpfer seiner Werke zu sein.
    Gerlach hatte in einem der Briefe seinen bevorzugten Kunsthändler vor Ort namentlich erwähnt – den er wohlweislich erfunden hatte. An den wollte Bros sich nun wenden.
    Die Stadt war groß und beeindruckend, aber der Meister sah durch alles hindurch.
    Riesige tätowierte Männer, Frauen in prächtigen Trachten, herumtobende sonnengebräunte Kinder, schmale hohe Häuser – diese Häuser! Bros verfluchte die malerische Enge der Stadt. Überall sprossen sie dicht an dicht wie Blumen aus dem Boden und gaben lediglich winzige Straßen frei! Dazu unzählige verwinkelte Kanäle, die in der milden Sonne gluckerten, Schaum schlugen und am Hafen gewaltige Pfähle und dümpelnde Boote umspülten; die Boote, so viele Boote! Segler, Hausboote, Ruderboote, Kriegsschiffe, Flöße, Einmaster, Zweimaster. Das waren keine einfachen Kutter mehr, wie Bros sie tagtäglich zu Gesicht bekam, nein, hier bekam man ausgewachsene Schiffe geboten. Mächtige Ozeanriesen, die stolz ihren Bug ins Wasser tauchten, umgeben von winzigen Nussschalen, die zwischen den Giganten umherflitzten, gleich einem Schwarm von quirligen Fischen.
    Bros drehte sich weg, murmelte, alles hier stinke erbärmlich nach vergammeltem Fisch.
    Unendlich viele Tiere gab es zu erblicken: Pferde wieherten, Schweine grunzten, Schafe blökten, Hühner gackerten, Hunde jaulten, Katzen umspielten die Beine des Meisters, bis Bros auch dem letzten von diesen Flohfängern einen empfindlichen Tritt verpasste. Lebewesen in jeglicher Farbe, Größe und Anzahl, frei oder eingesperrt, käuflich oder auch schon tot. Bunte Vögel zwitscherten in feinmaschigen Käfigen, es roch nach frischem Brot und Frühling und Schweiß und Arbeit und dem unvergleichlichen Duft der Freiheit!
    Bros lief im Kreis durch die Stadt, zerrte Ferdinand hinterher wie einen Hund, herrschte ihn an: Er solle nicht träumen! Bros fluchte, machte kehrt, fragte hier und dort, Gepäck und Kisten bald an jeder Ecke absetzend, den Brief mit dem Namen des Händlers

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