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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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nicht zufällig mit der Führung eines Haushalts vertraut sei – es würden sich gerade gewisse Perspektiven eröffnen.
    Wider Erwarten nickte Ferdinand so selbstverständlich, dass Jansen lächelte, eine Hand auf dessen Schulter legte und ihn in sein Arbeitszimmer führte, wo er ihm in knappen Sätzen den Umfang der erforderlichen Arbeiten beschrieb.
    Jansen hatte zuvor nie eine zusätzliche Kraft benötigt – weder für seine bisherigen juristischen Aufgaben noch für die Führung seines eigenen Haushalts. Dennoch wusste er durch die langjährige Zusammenarbeit mit Beuningen, welche Arbeiten es in seinem neuen Heim zu erledigen gab, für die eine fähige Haushälterin unabdingbar war.
    Ohne auf den Umfang der Informationen zu achten, beschrieb Jansen dem vor ihm sitzenden Ferdinand sämtliche Tätigkeiten, die dazugehörigen Termine und sonstige regelmäßigen Aufgaben, die für die Durchführung dieser Stelle von Belang waren.
    Erst, als der Junge ihn nach dem Gespräch ohne Widerworte oder Einwände allein gelassen hatte, regten sich Zweifel in Jansen.
    Dieser Ferdinand Meerten, der war ja noch keine drei Wochen hier – er, Jansen, er kannte diesen Jungen kaum! Mit einem Mal wurde ihm die Fülle der Aufgaben bewusst, die er sich selbst nur durch die enorme Zeitspanne einprägen konnte, die er schon in diesem Haus arbeitete. Zudem war der Kerl ein halbes Kind, dazu durch den Prozess mehr als vorbelastet – die Kündigung der Magd sprach da eine deutliche Sprache.
    Mitleid mit einem mittellosen Waisenjungen zu haben war das eine – aber es galt ja auch, einen Ruf aufzubauen und zu wahren.
    Jansen erhob sich, ging grübelnd im Raum auf und ab.
    Sein eigenes Verhalten kam ihm plötzlich äußerst seltsam vor.
    Erst hatte er sich dazu bereit erklärt, den Pfarrer herzubestellen; dann hatte er diesen unbekannten Jungen aufgenommen – und nun übertrug er ausgerechnet diesem Jungen von jetzt auf gleich sämtliche Aufgaben und Verantwortungen, die die alte Magd kaum alle erfüllen konnte – was für ein Unsinn!
    Wie konnte es nur zu solch einer absurden Situation kommen?
    Kopfschüttelnd blieb Jansen vor dem Schrank stehen, in welchem er das von Beuningen erhaltene Geld deponiert hatte, öffnete die Schranktür, nahm den Geldbeutel auf und trug ihn zum Tisch herüber.
    Vielleicht ließ sich die alte Magd mit mehr Gehalt oder sonstigen Vorzügen wieder zurückgewinnen.
    Ungeduldig entknotete Jansen die Schnüre, zog den Beutel auseinander und griff in die Münzen hinein. Das kalte Metall schmiegte sich sanft an seine Hand heran.
    Allerdings hatte ihm die alte Schachtel nie gefallen.
    Jansen verzog das Gesicht.
    Grob war sie, alt und hässlich – ein elender Mensch. Ferdinand dagegen: Der war jung, schlau, freundlich, wie man sich einen Jungen in seinem Alter nur wünschen konnte.
    Jansen lächelte.
    * * *
    Eine Woche später wurde eine junge Frau bei Jansen vorstellig.
    Kaum, dass Ferdinand sie hereingeführt hatte, begann sie schon hektisch zu sprechen: Ihr Name sei Flora, sie sei die Enkelin der ehemaligen Magd des Herrn Richters. Sie habe ein dringendes Anliegen.
    Und nun erfuhren Jansen und Ferdinand, der in der offenen Tür stehen geblieben war, dass die alte Magd mit ihrem geringen Gehalt nicht nur sich selbst, sondern auch die Familie ihrer Tochter ernährt habe. Da man die Großmutter leider nicht dazu bewegen konnte, beim Herrn Richter um Verzeihung zu bitten, geschweige denn, dieses Haus jemals wieder zu betreten, man aber auch auf das Geld angewiesen sei – aus diesem Grund stand Flora nun vor Jansen und bat darum, die Stelle als Haushälterin übernehmen zu können.
    Jansen erinnerte sich an Flora; schon bei früheren Ausfällen war die Magd durch ihre Enkelin vertreten worden, was den ehemaligen Richter Beuningen in keinster Weise gestört hatte – im Gegenteil, wie Jansen damals vermutete.
    Gelassen blickte Jansen von der vor ihm liegenden Akte auf, betrachtete Flora.
    Er habe das Ausscheiden der Magd sehr bedauert; allerdings habe er einen mehr als gleichwertigen Ersatz erhalten.
    Mit einer kleinen Geste wies Jansen hinter Flora zu Ferdinand, der nach wie vor im Türrahmen stand.
    Die Entscheidung, den Jungen zu behalten, hatte sich bereits innerhalb weniger Tage bewährt. Ferdinand hatte nicht nur Haus und Hof verblüffend gründlich gereinigt – auch die Wäsche, das Essen und eilige Botengänge liefen derart reibungslos ab, wie Jansen es sich nur wünschen konnte. Zudem verwickelte ihn der

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