Der Widerschein
unzulässige Pause – schon drang ihre gedämpfte Stimme zu ihm herauf: Sie sprach zu jemandem.
Innerlich erstarrt richtete Jansen sich auf, sog sämtliche Geräusche in sich hinein. Lautlos schob er seinen Stuhl beiseite, ging auf die Knie und presste sein Auge so nah wie möglich an den Boden, um alles genau sehen zu können – sein eigener Herzschlag dröhnte ihm in den Ohren.
Unter ihm, in der Mitte des Raumes, saß Flora – neben ihr stand Ferdinand.
Der Junge ging zur Seite, hockte sich an der Wand hin, wodurch Jansen ihn aus diesem Blickwinkel nur schemenhaft erkennen konnte; Flora dagegen saß auf einem Hocker in der Mitte des Raumes. Während sie jedoch nahezu bewegungslos dasaß und zu Ferdinand sah, schien sich der Junge leicht zu bewegen. Schon wähnte Jansen, er müsse sofort eingreifen, aber dann erkannte er mit einem Mal, was Ferdinand tat: Er zeichnete Flora.
So unvermittelt, wie die Situation sich im unteren Zimmer ergeben hatte, so schnell löste sie sich auch wieder auf. Ferdinand trat in die Mitte des Raumes, händigte Flora sein Werk aus, blieb neben ihr stehen. Flora besah das Bild, richtete ihren Blick nach vorn, auf Ferdinand, erhob sich, ließ das Blatt zu Boden gleiten und umarmte den Jungen.
Dann, plötzlich, küsste sie ihn.
Ein abscheulicher Schmerz zuckte durch Jansens Kopf, kroch sein Rückgrat rauf und runter, fraß sich schonungslos in seine Eingeweide hinein – da donnerte es lautstark an der Haustür. Überrascht schnellte Jansen hoch, stieß mit dem Kopf schmerzhaft gegen die Unterseite des Lesepults, griff vor Schreck an die angeschlagene Stelle, verlor dadurch sein Gleichgewicht und schlug der Länge nach hin.
Einen Moment lang lag er ohnmächtig am Boden – jämmerlich zusammengekrümmt, überschüttet von heruntergefallenen Büchern und Blättern.
Fluchend kroch er aus der Unordnung heraus, rieb sich Hinterkopf und Stirn, die Nase blutete leicht – einige rote Tropfen wurden von den offen liegenden Buchseiten aufgesogen.
Sorgsam begann er, alle Bücher aufzusammeln, strich zerknitterte Seiten glatt und stapelte alles unsortiert auf dem Lesetisch.
Bevor er sich fragen konnte, was passiert war, hörte er nun aus der Küche die Stimme von Flora: Jawohl, Herr Fischers, gerne, Herr Fischers.
Zum Aufräumen blieb keine Zeit! Geheimrat Fischers war stets in Eile, ihn durfte man nicht warten lassen!
Jansen stürzte in die Küche. Dort saß Fischers bereits am Tisch, sprach mit Ferdinand. Vor ihm stand eine dampfende Tasse – aber Fischers hatte nur Augen für den Jungen.
Selbst als Jansen herantrat, unterbrach der Geheimrat sein Gespräch nicht.
Ein stechender Schmerz fuhr Jansen durch den Kopf, als er Ferdinand aus der Nähe sah.
Unverblümt stellte der Geheimrat Frage auf Frage: Ob es Ferdinand gut beim ehrwürdigen Richter Jansen gefalle? Ob er wirklich nicht aus den deutschen Ländern käme? Ob er sich noch an seine Eltern erinnern könne? Ob er Angst gehabt habe, damals, in den Händen dieser brutalen Verbrecher? Ob der alte Richter Beuningen ihm seltsam vorgekommen sei?
Gut, meinte Fischers, nachdem Ferdinand in wenigen Worten geantwortet hatte, das habe er sich alles gedacht, dann sei ja alles gut. Ungeschickt wandte er sich Jansen zu und stieß dabei die Tasse um, so dass der heiße Inhalt auf den Tisch schwappte.
Schnell sprang Flora zur Seite und langte nach einem Tuch.
Ferdinand blieb still, aber Jansen hatte es genau beobachtet: Der Junge folgte mit seinem Blick der sich ausbreitenden Lache, in der sich für Sekunden die Dinge und Personen des Raumes spiegelten und sich in bizarre Formen und Bewegungen verwandelten.
Doch schon war der Moment verflogen, der Geheimrat stand auf und bat Jansen um ein persönliches Gespräch.
* * *
So, begann Fischers, um die rechtlichen Belange der Stadt stehe es viel besser als beim letzten Mal. Das freue ihn. Jetzt habe er, Jansen, ja auch das, was er sich immer gewünscht habe. Und dazu eine nette kleine Familie. Sozusagen. Die passende Frau, zum Greifen nahe – Flora, die käme ihm ganz ausgezeichnet vor.
Lächelnd betrat Fischers die Bibliothek, strich mit den Fingerspitzen über die auf dem Lesetisch liegenden Bücher.
Jansen schwieg.
Nun, fuhr der Geheimrat fort, das sei seine Sache nicht. Solange sie sich gut einfinde, keine Probleme bereite, dann stünde dem nichts im Wege.
Es gebe eine Kleinigkeit nur.
Fischers trat auf ihn zu.
Die Leute würden reden. Merkwürdiges. Unheimliches! Das sei ihm schon
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