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Der Widerschein

Der Widerschein

Titel: Der Widerschein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Schönherr
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früh zu Ohren gekommen. Ihm sei doch klar, dass er etwas unternehmen müsse?
    Besessenheit – damit scherze man nicht.
    Selbst bei Irren verstecke sich immer ein Fünkchen Wahrheit in dem was sie sagten – aber dieses Fünkchen reiche aus, um unter der Bevölkerung ein verheerendes Feuer zu entfachen. Und dieser Junge, Ferdinand, zwar lieb und freundlich, der komme ihm absonderlich genug vor. Ob er das nicht ebenfalls bemerkt habe? Als er die Tasse umgestoßen habe?
    Der Geheimrat wartete die Antwort nicht ab.
    Mit langen Schritten strich er an den Regalen vorbei, blieb vor dem Lesepult stehen, öffnete das Fenster. Ein Luftzug wehte Jansen den schlechten Atem des Geheimrats in die Nase.
    Schon eine ganze Weile überlege man. Und er sei heute schließlich hier, um die getroffene Entscheidung Jansen persönlich mitzuteilen.
    Er machte eine bedeutende Pause.
    Der übrige Rat der Stadt habe bereits zugestimmt.
    Die Besuche des Geheimrats waren stets – Jansen erinnerte sich plötzlich – mit grundlegenden Wandlungen verbunden. Die letzten Begegnungen hatten für den ehemaligen Richter Beuningen Veränderungen eingeleitet, die Jansen heute noch berücksichtigen musste. Soweit er sich erinnern konnte – sein Kopf kam ihm seit dem Kuss wie leergefegt vor.
    Jansen hustete verlegen.
    Er wisse vermutlich, begann der Geheimrat, dass er, Fischers, unter anderem auch christlich erzogen worden sei. Dies habe ihm nie geschadet in seinem bisherigen Leben, im Gegenteil. Es habe ihm manche Tür geöffnet, und die Menschen würden viel schneller zu ihm Vertrauen fassen, wenn er ihnen erzählte, dass Gott auf seiner Seite stehe.
    Fischers wischte den letzten Gedanken mit einer raschen Geste beiseite.
    Er solle das um Himmels willen nicht allzu ernst nehmen – aber hoffentlich verstehe er, was Fischers ihm mitteilen wolle.
    Jansen sah den Geheimrat fragend an.
    Nun, die meisten Leute bräuchten gewisse Sicherheiten. Man erwarte zu jenen ehrbaren Menschen, die die Macht in Händen hielten, ein gutes Verhältnis. Wenn man dem Volk signalisiere, dass man sich um alles sorge, dann respektierten diese Leute die gegebenen Verhältnisse einfach besser. Es sei also in ihrem eigenen Interesse, ein Bild zu erzeugen, welches sie beide in einem guten Licht erscheinen lasse.
    Jansen sah noch immer ratlos aus – Fischers machte eine weitere bedeutende Pause.
    Er habe sich daher etwas überlegt, womit man jene simplen Gemüter befreien könne von jeglichen Zweifeln. Etwas, das sie in ihrem eigenen Glauben bestärke und zugleich das Vertrauen in die Autorität stabilisiere.
    Der Geheimrat holte tief Luft.
    Eine Wallfahrt.
    Fischers sah Jansen an.
    Ihm würde Köln genügen. Aber dann habe man in der Ratsversammlung überlegt, dieses Ereignis publik machen zu können. Ja, zu müssen! Und allein nach Köln zu pilgern, dass könne Zweifler auf die Idee bringen, die Obrigkeit nehme derlei Sachverhalte nicht ernst genug. Also – Fischers stand mit einem Mal dicht neben Jansen, sog einen Schwall Luft ein, hielt diesen einen Moment – Sankt Matthias in Trier.
    Das sei nicht leicht, er wisse das. Aber nicht so weit wie nach Rom oder Jerusalem. Er habe so etwas erlebt, das sei wahrhaftig kein Spaziergang. Aber Trier – wenn sie sofort aufbrächen, könnten sie mit etwas Glück zurück sein vor dem ersten Advent.
    Der Geheimrat wandte sich ab und schritt wieder an den Regalen entlang.
    Vielleicht sei es sogar möglich, eine – ja, eine erweiterte Wallfahrt zu machen. Zuerst nach Köln. Und dann nach Trier. Dort solle sich der Richter nebenbei umhören, aus dieser Gegend würden dem Gerede nach die anderen Kinder ursprünglich stammen. Die bräuchte er aber nicht mitzunehmen.
    Priorität habe Ferdinand; alles andere könne warten.
    Damit zog Fischers einen Beutel und einen Umschlag hervor. Hier sei für die Reise etwas Geld. Und nützliche Hinweise in dem Umschlag. Die könne er später lesen; jetzt müsse man vorbereiten, eventuelle Pilger motivieren.
    Er wolle diese Reise sicherlich nicht allein mit Ferdinand antreten, nicht wahr?
    Fischers ging zur Tür. Er sei froh, dass der neue Richter so entgegenkommend sei. Sonntag früh werde er wiederkommen und sie verabschieden.
    Er werde es schaffen, Gott solle ihn schützen.
    * * *
    Jansen hörte Fischers die Treppe hinabsteigen, eine Verabschiedung zu Ferdinand säuseln, die Haustür ins Schloss fallen. Pferde wieherten, Scharniere quietschten, vermischten sich träge mit dem Knirschen von Holzrädern

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