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Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman

Titel: Der wilde Tanz der Seidenröcke: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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Schlimmes? Glaubt Ihr, er wäre aus Marmor? Wollt Ihr, daß er lebt wie ein Mönch in der Zelle, ewig nur über Büchern?«
    »Aber, bedenkt, Monsieur, Pierre ist erst zwölf!«
    »Zwölf, ja, in dem Alter hat Madame de Rambouillet geheiratet. Und welches Mädchen zöge eine Ehe nicht dem Kloster vor? Und einen Jungen, meine ich, soll man gleich an Mädchen gewöhnen, sobald er zum Mann geworden ist, damit gar nicht erst diese italienischen Sitten einreißen, die unserem verstorbenen König so übel angekreidet 1 wurden. Außerdem, wenn Pierre Pflichten hat wie ein Mann, indem er von früh bis spät arbeitet, soll er dann nicht auch das Vergnügen haben? Und weshalb sollte ich ihm versagen, was ich in seinem Alter genoß und, wie Ihr wohl wißt, noch immer genieße?«
    »Monsieur«, sagte sie, indem sie sich zu voller Höhe straffte, »Ihr seid unverschämt, in der Weise mit mir zu sprechen, und ein großer Libertiner, wenn Ihr Euren Sohn so früh der Schule des Lasters mit dieser Schlampe überlaßt, die Ihr wahrscheinlich selbst ausprobiert habt, ehe Ihr sie ihm abtratet.«
    »Die ich ausprobiert habe? Verflixt, wer hätte das gedacht? Und wer hat das behauptet?«
    »Die Dirne selbst; ich habe es aus ihrem Mund. Pierre ist mein Zeuge.«
    »Madame«, sagte ich, »verzeiht, aber ganz so hat Toinon sich nicht ausgedrückt. Sie hat gesagt, mein Vater habe sie eingestellt, weil sie ›wahrscheinlich nach seinem Geschmack‹ sei. Und das war lediglich eine Spitze gegen Euch, nachdem Ihr sie durch Eure Beschimpfungen so verletzt hattet.«
    »Gütiger Gott!« rief die Herzogin händeringend, »das ist ja wohl die Krone meines unglücklichen Lebens! Vater und Sohn gegen mich verbündet! Das überlebe ich nicht! Das ist zuviel.«
    »Ja, Madame«, sagte mein Vater in schärferem Ton, »das ist zuviel! Es ist zuviel der Dramen wegen nichts und wieder nichts. Ihr urteilt obenhin, ohne Sinn und Verstand. Und ebenso sprecht Ihr. Sei es Mademoiselle de Saint-Hubert, sei es Toinon oder wer weiß noch! Jeder Unterrock, den Ihr im Hause seht, bringt Euch auf Touren. Die Wahrheit ist: EuerPatensohn liebt Euch, und ich auch, und dieses Mädchen hat mir niemals etwas bedeutet.«
    Nach dieser Erklärung trat ein langes Schweigen ein, das ein kleiner Seufzer beschloß.
    »Monsieur, schwört Ihr mir das?«
    »Gewiß.«
    »Bei Eurem Heil?«
    »Wie Ihr wollt.«
    »Monsieur, ich brauche keinen leichtfertigen Schwur. Auf sein Heil zu schwören, ist eine ernste Sache. Wenn Ihr lügt, kommt Ihr in die Hölle.«
    »Dort finde ich Euch wieder, denk ich«, sagte mein Vater auf italienisch, eine Sprache, die der Herzogin fremd war.
    »Was ist das?«
    »Latein.«
    »Schwört Ihr?«
    »Ich schwöre bei meinem Heil.«
    »Was schwört Ihr?«
    »Pfui, das wißt Ihr doch! Soll ich Euch meinen Text nachplappern wie ein Schulknabe? Zum Teufel mit Euren Narreteien, Madame: ich habe Toinon nicht gefickt, ich schwöre es bei meinem Seelenheil! So, seid Ihr nun zufrieden?«
    Ohne zu antworten, trat sie auf ihn zu, wieder ganz sanft geworden, aber durchaus nicht so reuig, wie mein Vater es gern gesehen hätte, erhob sich auf die Zehenspitzen und küßte ihn auf beide Wangen. Ohne meine Anwesenheit hätte sie mehr getan, das wette ich, so großen Appetit hatte sie auf ihn, den sie bis zur Narrheit liebte und der auch sie liebte, aber nicht ohne Vorbehalte, wie ich später begriff, denn dieses tyrannische Band bedrückte ihn auch. Er erwiderte ihre Küsse nicht sofort, so verärgert war er noch immer, und als er es endlich tat, blieb er aufrecht stehen, so daß sie sich recken mußte, um an seine Wange zu reichen.
    Mit welcher Klarheit hat dieses Bild meines Vaters sich meinem Gedächtnis eingeprägt! Was für ein schönes Mannsbild er war: Der Wuchs wohlgeraten, die Gliedmaßen fein, aber muskulös, behende und anmutig in seinen Bewegungen, der Kopf aufrecht auf den Schultern, die Augen klug, die Haare leicht ergraut an den Schläfen – und nach der neuen Mode, anders als in seiner Jugend, trug er den Schnurrbartschneidig gezwirbelt, eine Kinnfliege, den Bart auf den Umriß des Kinns begrenzt, alles übrige glatt rasiert. Seine Miene war zugleich von Mut und Besonnenheit geprägt, er sprach mühelos, aber mit Bedacht, das Blau seiner Augen war bald zärtlich, bald belustigt, bald gereizt, aber niemals stumpf; eine Haltung hatte er, die kein Dünkel beeindrucken konnte, die aber selbst ohne Dünkel war. Er war freundlich zu jedermann, besonders zu den kleinen

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