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Der Wind bringt den Tod

Der Wind bringt den Tod

Titel: Der Wind bringt den Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ole Kristiansen
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schlimm?« Jule verteidigte Schwillmer nur ungern, doch in diesem Fall fand sie es angebracht. »Es hat doch seine Vorteile, einen Mitarbeiter zum Projektleiter zu machen, der sich vor Ort bestens auskennt. Und das warst nun einmal du.«
    »Du bist schon in Odisworth gewesen, oder?«, fragte Andreas.
    »Ja, am Freitag. Und?« Sie hörte ein Klicken, dem ein tiefer Atemzug folgte. »Sag mal, rauchst du etwa?«
    »Ja.«
    »Im Büro?«
    »Wo kein Kläger, da kein Richter«, erwiderte er. »Ich bin froh, dass ich aus der Nummer raus bin, Jule. Heilfroh.«
    »Die scheinen dich da alle sehr zu mögen.« Sie hatte nicht die geringste Ahnung, wo sein Problem lag. »Sie haben ständig nach dir gefragt.«
    Die Antwort war ein kräftiges Schnauben. »Ja, das kann ich mir vorstellen. Aber, Jule, verwechsele die Aufmerksamkeit dieser Leute nicht mit echter Zuneigung.«
    »Es hörte sich wirklich so an, als hätten sie dich am liebsten dabehalten«, bekräftigte Jule ihren Standpunkt.
    »Natürlich. Das wäre ja auch zu schön gewesen. Der verlorene Sohn kehrt endlich heim und so. Dabei wäre ich da nie wieder aufgetaucht, wenn Schwillmer mich nicht hingeschickt hätte.«
    »Wieso?«
    »Wieso? Jule hast du eben nicht gesagt, du wärst schon dort gewesen? Bist du so blind?«
    Nun kamen also doch noch Vorhaltungen. Sie dachte darüber nach, einfach aufzulegen, aber irgendetwas an Andreas’ sonderbarem Verhalten weckte ihre Neugier. Vielleicht war es auch nur die Aussicht, mehr darüber zu erfahren, wie die Dinge in Odisworth gemeinhin liefen – Informationen, die ihr bei ihren Verhandlungen sehr nützlich sein konnten. »Du müsstest dich etwas genauer ausdrücken, damit ich verstehe, was du meinst.«
    Er seufzte. »Du kommst nicht vom Dorf, was?«
    »Ich komme aus Pinneberg. Zählt das?«
    »Kein Stück.« Sie hörte ihn an seiner Zigarette ziehen. »Pinneberg ist viel zu groß, um dort die Erfahrungen zu machen, die ich in meiner Jugend gesammelt habe. Die Leute aus der Stadt meinen immer, in einem Dorf gäbe es einen größeren Zusammenhalt unter den Leuten und sie würden besser aufeinander achtgeben. Du kennst sicher diese Berichte, wenn in irgendeiner Hochhaussiedlung mal wieder eine Rentnerin einige Zeit tot in ihrer Wohnung gelegen hat, ohne dass es irgendjemandem aufgefallen wäre.«
    »Ja.«
    »Das ist alles purer Blödsinn. In einem Dorf gibt man nicht besser aufeinander acht, man überwacht sich nur besser. Und glaub mir, nichts daran ist wirklich angenehm.«
    Er legte eine lange Pause ein, und Jule wusste nicht so recht, ob er auf einen Kommentar von ihr wartete. Sie wollte an ihrem Ring drehen, hatte ihn aber zum Duschen runtergenommen. Nervös zupfte sie ein paar Falten in der Bettdecke glatt.
    Schließlich fuhr Andreas fort. »Oh, sie tun alle freundlich, und jeder hilft dem anderen – beim Anbringen einer Satellitenschüssel oder bei den Vorbereitungen für eine Hochzeit oder eine Taufe. Aber sobald sie feststellen, dass du anders bist, dass du nicht in ihr Bild hineinpasst, machen sie dich kaputt. Dann tuscheln sie hinter deinem Rücken. Lassen dich links liegen. Stechen dir die Reifen platt. Alles, um dir zu zeigen, dass du nur zwei Möglichkeiten hast: Du schlägst dir deine Flausen aus dem Kopf und wirst wieder hübsch normal, oder du verschwindest besser.«
    »Bist du deshalb von dort weggegangen?«, wollte Jule wissen. »Ist dir das passiert?«
    »Mir nicht … nein. Ich hatte Glück. Bin wohl unter dem Radar geflogen. Aber … ein Freund von mir – nein, einer meiner besten Freunde, den ich als Kind hatte –, der hatte weniger Glück. Er hätte fast mit dem Leben dafür bezahlt, nicht so zu sein, wie sie ihn haben wollten. Und um zu überleben, haben sie ihn zu Dingen gezwungen, die …« Er wurde leiser und leiser, und seine letzten Worte gingen in einem Geräusch unter, und Jule wollte einfach nicht glauben, dass es ein unterdrücktes Schluchzen war.
    »Jetzt mach aber mal einen Punkt, Andreas.« Fröstelnd raffte sie die Decke enger um sich. »Du stellst das alles so hin, als wäre Odisworth das gefährlichste Pflaster der Welt.«
    »Sag das der Frau, die sie tot im Wald gefunden haben«, erwiderte er trotzig wie ein Kind, das gerade gescholten wurde, weil es sich haarsträubende Geschichten ausdachte.
    »Bisher weiß doch niemand, ob ihr Mörder aus dem Dorf stammt.« Sie hatte eigentlich sanften Nachdruck in ihre Stimme legen wollen, aber ihr Argument klang so, als müsste sie sich selbst

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