Der Wind der Erinnerung
er mit barscher Stimme fort, »besitzt das fragliche Objekt durchaus materiellen Wert, wenngleich Sie es erst sechs Monate nach der Übertragung verkaufen dürfen.«
»Was ist es denn?« Mum konnte nicht länger an sich halten.
Mr. Hibberd würdigte sie keines Blickes. Seit dem Erbschaftsstreit verstand er sich nicht mehr mit Mum und Onkel Mike. »Es ist ein Haus, Emma.«
»Ein Haus? Aber Sie haben Point Piper doch verkauft«, sagte Mum und sprang von ihrem Stuhl auf. »Das weiß ich genau. Das Geld ging an irgendein blödes Tierheim.«
Mr. Hibberd räusperte sich, schob die Papiere wieder in die Mappe und wartete, bis Mum sich gesetzt hatte. Ein Haus. Grandma hatte mir ein Haus hinterlassen. Sicher eine gute Sache. Warum empfand ich es als Belastung?
»Wie gesagt, das Haus besaß eine ungeheure Bedeutung für Beattie.« Er schob mir die Mappe zu. »Es liegt in Tasmanien.«
»Das alte Ding?«, meinte Mum. »Ich dachte, sie hätte es schon vor Jahren verkauft. Ist das alles? Sind Sie sicher?«
»Vielen Dank«, sagte ich zu Mr. Hibberd und klemmte mir die Mappe unter den Arm. »Aber ich weiß nicht, was ich damit machen soll. Kann man es in diesem Zustand verkaufen? Ich meine, ich muss doch nicht hinfahren, oder?«
Mr. Hibberd sagte mit sanfter Stimme: »Ihrer Großmutter lag sehr viel daran, dass Sie hinfahren, aber sie wusste auch, dass sie Sie nicht zwingen konnte. Wie gesagt, in sechs Monaten dürfen Sie es verkaufen, aber nicht vorher. Ich glaube, sie hat gehofft, dass Sie ein wenig Zeit dort verbringen.«
»In Tasmanien?«
»Ja. Es ist sehr hübsch. Es wird Ihnen gefallen.«
Natürlich wusste ich von Grandmas Schaffarm. Eine meiner frühesten Erinnerungen bestand darin, wie ich bei ihr übernachtet hatte und mitten in der Nacht verängstigt aufgewacht war. Ich hatte nach ihr gesucht und sie lesend im Musikzimmer gefunden. Sie hatte meinen Kopf auf ihren Schoß gebettet und gesagt, ich solle das Gemälde mit dem Eukalyptusbaum betrachten, das sie so liebte. Es sei ihre Lieblingsansicht des Hauses, und sie fühle sich immer ruhig und glücklich, wenn sie es betrachte. Ich schaute mir das Gemälde lange und gründlich an, während sie mir übers Haar streichelte. Irgendwann schlief ich wieder ein.
Ich war neugierig auf das Anwesen. Von London nach Sydney zu fliegen war eine Sache gewesen. Aber eine Insel voller Farmen am Ende der Welt zu besuchen …
»Verkauf es einfach«, riet Mum mir mit leiser Stimme. »In deinem Zustand kannst du nicht dorthin fahren. Ich muss mich um dich kümmern. Du könntest eine nette Summe dafür bekommen.«
Ich dachte an Mum und Onkel Mike, die mir beide sagen wollten, was ich zu tun hatte, und ängstlich darauf bedacht waren, das letzte bisschen von Grandmas Erbe an sich zu bringen. Und ich dachte an Grandma und was sie hatte sagen wollen, als sie mir dieses Haus hinterließ, das ihr so viel bedeutet hatte. Ich beschloss, lieber auf Grandma zu hören.
»Ich fahre hin.«
Zum Glück hielt Mum ausnahmsweise den Mund. Mr. Hibberd lächelte, und diesmal konnte ich sein Lächeln erwidern.
»Das freut mich sehr, Emma. Und Beattie hätte sich auch gefreut. Vielleicht können Sie dem alten Haus neues Leben einhauchen.«
»Ich will es mir nur anschauen, das ist alles.« Ich streckte die Hände aus. »Ich werde nicht lange bleiben.«
Er wollte etwas sagen, hielt aber inne. Rückte die Krawatte zurecht. »Es wurde nichts verkauft, das Haus ist also noch … voll. Jemand wird die ganzen Sachen durchsehen müssen.«
»Welche Sachen? Bücher? Kleinkram?«
»Es stehen sogar noch alle Möbel darin. Vermutlich unter Schutzhauben. Kisten voller … ich weiß auch nicht. Sie hat dort viele Dinge gelagert. Es könnte eine gewaltige Aufgabe werden, sie zu sortieren.«
»Soll ich mitkommen?«, fragte Mum.
»Nein«, erwiderte ich, vielleicht zu schnell, und strich ihr liebevoll über den Arm. »Nein, es geht schon. Eigentlich freue ich mich sogar darauf.«
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Acht
Beattie: Hobart 1933
B eattie hängte gerade Wäsche auf die Leine, die zwischen dem Giebel des Hauses und dem Zaun gespannt war, als sie den Briefträger auf der Straße pfeifen hörte. Das an sich harmlose Geräusch erfüllte sie seit kurzem mit Furcht, weil ihre Schulden stetig stiegen und die Briefe der aufgebrachten Gläubiger sie ständig daran erinnerten, wie viel sie ihnen schuldeten.
Sie befestigte Henrys Hemden mit Wäscheklammern und wischte sich die Hände an der Schürze ab. Sie waren rot und
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