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Der Wind über den Klippen

Der Wind über den Klippen

Titel: Der Wind über den Klippen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leena Lehtolainen
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Seija Saarela ließ sich offenbar nicht so leicht aus der Bahn werfen. Die Energie, die sie und ihre Steine ausstrahlten, war eindeutig positiv.
    Auf die Frage nach ihren Personalien hatte sie angegeben, sie sei seit acht Jahren geschieden. Ihr erwachsener Sohn lebe mit seiner Freundin in Turku, und sie könne tun und lassen, was sie wolle.
    »Meiner Meinung nach war Juha ein Heuchler. Ein guter Geschäftsmann, zugegeben, und ausgesprochen überzeugend, wenn er über Naturschutz sprach, aber er wäre ebenso überzeugend für den schweren Lkw-Verkehr oder die Pelztierzucht eingetreten, wenn er dort seine Lebensaufgabe gefunden hätte.
    Leute wie mich verachtete er.«
    Sie strich sich eine graue Locke aus dem Gesicht. Unter der weiten, fast bis zu den Knien reichenden, violett-grün gemuster-ten Tunika trug sie dunkelgrüne, schwarz gemusterte Leggings.
    Um ihre schokoladenbraunen Augen lagen Lachfältchen.
    »Arbeitslose gehörten für Juha zur untersten Kaste, und ich fettes altes Weib bin nicht einmal als Frau etwas wert.«
    Selbst bei diesen harten Worten schwang Belustigung mit.
    »Alt? Er war doch nur drei Jahre jünger als Sie.«
    »Juha legte bei Frauen andere Maßstäbe an. Sich selbst hielt er für einen Mann im besten Alter, während er Anne, obwohl sie ein Jahr jünger ist, schon fast als Greisin betrachtete. ›Du solltest Milch trinken, damit du keine Osteoporose kriegst wie die anderen Weiber in deinem Alter‹ und so weiter. Frauen über vierzig bezeichnete er durch die Bank als Weiber, Alte oder Matronen, während Männer ihr Leben lang ›Jungs‹ blieben.
    Seiner Ansicht nach war es geradezu ein Verbrechen, dass ich das Leben genieße, obwohl ich weder einen Job noch einen Mann habe.«
    Sie warf einen Blick auf Koivu, der unser Gespräch leicht verlegen verfolgte. »Wenn mir zwei männliche Beamte gegenü-
    bersäßen, würde ich Juha wahrscheinlich nicht so beschreiben.
    Ich würde sicher erzählen, wie er seine Maskulinität herauszu-kehren versuchte, indem er Jiri immer wieder zum körperlichen Wettkampf herausforderte: im Schwimmen, Tennis, Stei-neschleudern. Zum Glück hat Jiri gelernt, sich zu wehren. Juha hätte ihn nicht mehr lange unter Kontrolle halten können, weder kräftemäßig noch finanziell.«
    Sie merkte offenbar, was sie gerade angedeutet hatte, denn sie stand hastig auf und fragte, ob sie uns eine Tasse Tee anbieten dürfe. Wir nickten beide, denn die Fajitas im »Chico’s« waren scharf gewürzt gewesen.
    »Pfefferminz oder Hagebutten?«
    »Pfefferminz bitte«, antwortete ich, da Koivu sich nicht rührte.
    Es war nicht das erste Mal, dass er das Reden mir überließ.
    »Sie haben uns erzählt, dass Sie die Merivaaras durch Mikael Sjöberg kennen gelernt haben. Und nun sind Sie also eine Freundin der Familie?«, fragte ich Seija, die sich in der Kochnische zu schaffen machte.
    »Befreundet bin ich nur mit Mikke und Anne. Juha unterhielt keine freundschaftlichen Beziehungen zu Frauen. Er hat mich unmissverständlich auf meinen Platz gewiesen, indem er mir eine Stelle in seiner Firma anbot – als Putzfrau. Ich habe nichts gegen Putzen, das ist eine respektable und wichtige Arbeit, aber Juhas Büro hätte ich um keinen Preis gewienert! Als ich ihm sagte, ich wäre für einen ganz anderen Beruf ausgebildet, meinte er nur, alle Frauen könnten von Natur aus putzen.«
    Ich schnaubte. Über das Gerede vom angeborenen Ordnungs-sinn der Frauen hatte ich mich immer gewundert. Ich besaß diese Gabe jedenfalls nicht. Wenn ich neuerdings öfter sauber machte, dann nur deshalb, weil Iida sonst den Staub vom Fußboden in den Mund gesteckt und herumliegende Bücher zerrissen hätte.
    »Als Freundin von Anne Merivaara können Sie uns sicher etwas über ihre Ehe erzählen. War sie intakt?«
    Seija Saarela nahm eine Kiste mit Steinen vom Tisch und stellte drei dunkelgrüne Steingutbecher sowie ein Glas Honig und eine Schachtel urgesund aussehender Kekse hin, bei deren Anblick Koivu das Gesicht verzog.
    »Die Beziehung war ganz gut. Sie hatten sich damit abgefun-den, dass sie unterschiedliche Wertvorstellungen hatten, und wollten trotzdem zusammenbleiben. Anne missbilligte die Art, wie Juha seinen Sohn behandelte, aber sonst stritten sie sich wohl kaum. Allerdings haben Anne und ich nicht oft über dieses Thema gesprochen.«
    Ich verzichtete auf die Frage, worüber die beiden Frauen sich sonst unterhalten hatten, da ich fürchtete, mir einen Vortrag über Geister anhören zu müssen. Stattdessen

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