Der Windsänger
die Windrichtung und den Zeitpunkt des Aussetzens. Je später ein Schiff ausgesetzt wurde, desto näher war es seinem Ziel und desto genauer konnte man dieses Ziel treffen. Wenn das Schiff jedoch zu spät ausgesetzt wurde, bestand die Gefahr, dass es die Angriffsgeschwindigkeit nicht mehr erreichte, bevor es auf das gegnerische Schiff stieß.
Die beiden riesigen Mutterschiffe, Ombaraka und Omchaka, rumpelten in ihre Schlachtpositionen, wobei beide versuchten, die günstigere, dem Wind abgewandte Position zu ergattern. Wie immer segelten bald beide quer zum Wind und keiner war im Vorteil. Das war nicht weiter schlimm, da beide Kriegsflotten aus eben diesem Grund so gebaut waren, dass Seitenwind für sie ideal war.
Als die Sonne schließlich ihre leuchtenden Strahlen über die Ebene sandte, gab Raka den Befehl, die Schlachthörner zu blasen. Das erste Horn erklang hoch oben auf dem Hauptwachturm. Dann stimmten die übrigen Wachposten in ganz Ombaraka ein und lange, kehlige Töne ertönten auf allen Decks.
Die Kinder hörten die Klänge in ihrer Gefängniszelle und wussten, was sie zu bedeuten hatten. Draußen wurde Fußgetrappel laut und die Tür flog auf. Eine Eskorte schwer bewaffneter Soldaten ergriff sie und zerrte sie in den Gang hinaus. Ohne ein Wort zu sagen trieben sie die Kinder über den Hof und über eine Rampe zum Flottendeck. Hier lag die Kriegsflotte der Barakas, so weit das Auge reichte, erstreckten sich Reihen von Segelschiffen, die an Halterungen aufgehängt waren und über die hohen Seitenwände des Mutterschiffes hinausragten. Arbeiter kletterten über die Schiffe, stellten die propellerähnlichen Klingen ein, hängten Netze auf, überprüften Riemen und Rollen und richteten die Segel. Für jedes Schiff der Flotte war ein eigenes Team von Arbeitern zuständig, denen ein spannender Moment bevorstand. Das Kriegsgefährt, das sie mit so viel Hingabe zusammengebaut hatten und nun mit größter Präzision für die Schlacht rüsteten, würde bald ausgesetzt werden und nie zurückkehren. Es würde ihre Hoffnung auf einen Sieg mit sich forttragen und, wenn sie Glück hatten, ein Chaka-Schiff zu Fall bringen, bevor es selbst zwangsläufig dem Gegner oder den Elementen zum Opfer fiel.
Die Kinder wurden an der Reihe von Schlachtkreuzern vorbeigeführt und mussten vor dem ersten der leichteren Schiffe, der so genannten Korvetten, stehen bleiben. Überall waren Soldaten, und wann immer ihr Blick auf die Kinder fiel, spuckten sie aus und beschimpften sie. »Chaka-Pack! Ich werde zusehen, wie eure Gehirne vom Wind zerstreut werden!«
An jeder Halterung standen Arbeiter mit langen Haken. Damit zogen sie die Schiffe herein. Mit drei dieser Haken wurde die erste Korvette dicht an das Flottendeck herangeholt, damit die Kinder an Bord gebracht werden konnten. Scharfe Klingen glänzten im Licht der aufgehenden Sonne, doch sie bewegten sich nicht, solange sich die Korvette nicht bewegte.
Berater Kemba erschien, um das Schicksal der Chaka-Spione zu überwachen. Er nickte den Kindern freundlich zu und befahl dann ihrer Eskorte: »Bindet die Chaka-Spione an den Masten fest!«
»Bitte, Sir«, sagte Kestrel. »Sagten Sie nicht, dass alle zuschauen würden?«
»Und wenn?«
»Na ja, wenn Sie uns festbinden, wird es doch zu schnell vorbei sein, oder nicht?«
»Worauf willst du hinaus?«
»Ich habe mir überlegt, dass das Zuschauen mehr Spaß machen würde, wenn wir in der Korvette herumlaufen könnten.«
Kemba dachte ein wenig verblüfft über den Vorschlag nach. »Aber dann könntet ihr ja hinausspringen«, wandte er ein.
»Sie könnten uns an ein langes Tau binden«, schlug Kestrel vor. »Und uns Waffen geben. Dann könnten wir Ihnen eine richtig gute Vorstellung bieten.«
»Kommt nicht in Frage«, entgegnete Kemba. »Keine Schwerter. Nicht für Chaka-Spione.«
»Wie war’s mit so einer Stange?«, fragte Bowman und zeigte auf die langen Haken, mit denen die Korvette an Deck gehalten wurde.
»Wozu willst du die haben?«
»Vielleicht können wir die Chaka-Flotte damit wegschieben.«
»Wegschieben? Mit einer Stange?« Der alte Berater lächelte und die Arbeiter um ihn herum lachten laut auf, denn sie wussten, mit welcher Geschwindigkeit die Schlachtkreuzer aufeinander zurasten.
»Na schön«, entschied Kemba. »Gebt ihnen eine Stange. Wir werden ja sehen, wie sie die Chaka-Kreuzer wegschieben.«
Unter höhnischem Gelächter wurden die Kinder an Bord der Korvette gebracht
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