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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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hereingekommen wäre,
hätte sie ihm nicht widerstehen können. Er hätte ihr irgendeine Lügengeschichte auftischen können, um zu begründen, warum er nicht gekommen war. Dass er irgendjemanden getroffen hatte, dass der Großfürst ihm etwas aufgetragen hatte, das er erledigen musste, was auch immer – sie hätte ihm willig zugehört.
    Katharina hob den Kopf. Ihr Haar hatte sich aus den Kämmen gelöst und floss über ihren Nacken auf die Schultern, dicht und dunkel und seidig. Schatten tanzten an den Wänden, von den Flammen im Kamin fluteten warmen Wellen.
    Wir hörten Schritte vor der Tür. War Sergej doch noch gekommen?
    Katharina erstarrte.
    Die Schritte gingen vorbei, bewegten sich zu den Wohnräumen des Großfürsten. Ein Klopfen an der Tür, gefolgt von boshaftem Gelächter. Ich erkannte das Kichern des Fräuleins wieder.
    »Hast du es gewusst, Warenka?«, fragte Katharina leise.
    »Dass er nicht kommen würde?« Ich beugte mich vor und fühlte ihre Stirn. Sie war ganz heiß.
    »Du weißt genau, wovon ich rede. Hat sie ihm befohlen, mich zu verführen? War das alles von ihr geplant ?« Tränen liefen ihr über die Wangen. Sie wischte sie nicht ab.
    Ich war wie gelähmt. Eine Kerze auf dem Nachttischchen rußte; das Kammermädchen hatte vergessen, den Docht zu kürzen. Ist es denn so wichtig, immer und unter allen Umständen Bescheid zu wissen? Ist es nicht manchmal besser, aus Freundlichkeit zu lügen?
    »Schau mich an, Warenka. Ich bin einfach nur ein Stück Zuchtvieh. Nicht mal das, denn einer Kuh nimmt man nicht gleich nach der Geburt ihr Kalb weg.«
    Sie fasste meine Hand. Ihre Haut war heiß und trocken. »Hast du es gewusst ?«
    Ich nickte.
    »Warum hast du es mir verschwiegen, Warenka?«
    Ich brachte kein Wort heraus.
    »In Zukunft überlässt du es mir, zu entscheiden, was gut für mich ist – ein für alle Mal. Ist das klar?«
    War es der Ton ihrer Stimme, der mir am meisten wehtat? Sie klang so kalt und harsch, als spräche eine Fremde. Oder war es die blanke Wut in ihren Augen? Sie stand auf und öffnete ein Fenster. Lärm drang herein, Pfiffe und fröhliches Geschrei, Musketenschüsse, das Krachen von Feuerwerkskörpern hallten durch die Dämmerung des Neujahrstages.
    »Ich wollte Sie schützen«, murmelte ich. »Ich habe es immer nur gut gemeint.«
    Ich weinte, ich weiß nicht mehr, wie lange. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich hörte, wie das Fenster geschlossen wurde, und dann fühlte ich Katharinas Finger an meinen Wangen.
    Ich hatte keine Wahl. Ich erzählte ihr ihre eigene Geschichte, gesehen durch Gucklöcher in den Wänden, von dem Moment an, als sie hierher in den Winterpalast kam. Ich erzählte, wie sie auf Schritt und Tritt bespitzelt worden war, von Bestuschews Intrigen und Winkelzügen, von den Prahlereien des Verführers. Davon, dass ihr Geliebter nach Schweden abreisen würde, sobald die Neujahrsfeierlichkeiten vorbei waren.
    Katharina saß wie erstarrt da. Nur ihre Finger waren in Bewegung, drehten ruhelos Locken in Bijous Fell und streichelten ihn.
    »Ist das alles?«, fragte sie, als ich fertig war.
    »Ja.«
    Im Schein des Feuers sah ich, wie sie sich auf die Lippe biss, so fest, dass sie blutete.
    Ich wollte noch etwas Tröstliches sagen, sie daran erinnern, wie weit sie es gebracht hatte in diesen zehn dunklen Jahren, seit sie nach Russland gekommen war und immer damit hatte rechnen müssen, wieder nach Hause geschickt zu werden, aber sie unterbrach mich. »Geh jetzt, Warenka«, befahl sie, »ich will alleine sein.«
    Ich gehorchte.
    Ich ging nicht zurück zum Ballsaal. Um mich herum in den kalten, zugigen Korridoren des Winterpalasts hallten fröhliche Stimmen, Stiefel trampelten über hölzerne Treppen. Ich hastete in unsere Wohnung. Mascha empfing mich mit Neujahrswünschen und Reden über die unerforschlichen Wege Gottes, aber ich hörte nicht zu. Ich schlief tief und traumlos diese Nacht.

Sieben
    1755-1756
    I n den ersten Wochen des Jahres, nach den eisigen Tagen Mitte Januar, beherrschte der Gedanke an einen drohenden Krieg zunehmend die Gespräche.
    In der Neuen Welt machten Engländer und Franzosen in vereinzelten Vorstößen einander Besitzungen streitig. Diese Feindseligkeiten in den fernen Kolonien warfen ihre Schatten bis nach Europa. Frankreich hatte sich mit Preußen, England hatte sich mit Österreich verbündet, wenn auch die Loyalitäten nicht sehr fest geknüpft waren. Am russischen Hof hielt man die Engländer für tückisch und die

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