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Der Winterpalast

Der Winterpalast

Titel: Der Winterpalast Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Stachniak
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verschlagen hatte, die auf meinen Vater, einen bloßen Handwerker, hochmütig herabgeblickt hätten? Oder war es Schicksal? War menschlicher Wille oder das Schicksal dafür verantwortlich, dass ich, die Buchbinderstochter, mich hier unter lauter parfümierten feinen Herrschaften befand? Wenn ich sie belauschen würde, wie sie über mich redeten, was würde ich zu hören bekommen? Dass ich ein Niemand war, irgendeine unbedeutende Person, die sich bei der Großfürstin einzuschmeicheln versuchte? Die Frau eines Soldaten, die unbedingt etwas Besseres sein wollte? Eine Spionin?
    Der Raum um mich herum schrumpfte und weitete sich, es wurde dämmrig und dann wieder hell. Andere Gedanken stürzten auf mich ein. War ich der einzige Spitzel in diesem Salon? Gab es noch jemanden, der alles beobachtete? Der die allzu freizügigen, respektlosen und illoyalen Reden, die hier geführt wurden, genauestens zur Kenntnis nahm, um darüber zu berichten? Und wem? Der Kaiserin? Dem Kanzler?
    In einer Ecke führte Lew Naryschkin in einer plumpen Pantomime seinen Gästen vor, wie die Kaiserin immer angestrengt das Kinn reckte, damit die Haut am Hals sich spannte und man die Falten nicht sah. Wer merkte sich die Namen derer, die darüber lachten?
    »Sie sind blass, Barbara.« Stanislaws Stimme riss mich aus meinen Gedanken. »Ist irgendetwas passiert?«
    Barbara. Er nannte mich bei meinem polnischen Namen.
    »Seien Sie vorsichtig«, flüsterte ich noch ganz benommen.
    »Ich bin vorsichtig.«
    Er wusste, was einem Ausländer drohte, der der Großfürstin, der Frau des russischen Kronprinzen, zu nahe kam. Er kannte Elisabeths Zorn. Er hatte von der Knute gehört, die einem Menschen das Rückgrat bricht, von den eisigen Weiten Sibiriens.
    Er strich über meine Hand und lächelte.
     
    Niemand wird dahinterkommen, versprach ich Katharina. Die Kaiserin nicht und nicht Bestuschew. Ich würde das Geheimnis von Stanislaw und Katharina sorgsam hüten.
    Wenn ich mit der Kaiserin allein war und ihr zusah, wie sie Katharinas Sohn in ihren Armen wiegte, erwähnte ich immer wieder Lew Naryschkin.
    »Er miaut jedes Mal, bevor er bei der Großfürstin anklopft«, sagte ich, »Das ist ihr geheimes Zeichen. Dann lässt sie ihn ein.« Ich wollte, dass die Kaiserin glaubte, Naryschkin sei Katharinas Liebhaber. Sie sollte glauben, Stanislaw sei gar nicht weiter von Bedeutung, er sei nur ein ausländischer Besucher, der mit ehrfürchtigem Staunen all die Pracht Russlands bewunderte.
    »Soll ich der Großfürstin mitteilen, dass Euer Hoheit ihr Benehmen missfällt?«
    »Nein, Warwara. Lass ihr ihren Spaß.«
    Das sei aber noch nicht alles, sagte ich. Lew Naryschkin sei ein Schürzenjäger. Katharina steuere auf eine weitere große Enttäuschung zu. Ich gab der Kaiserin zu verstehen, dass Katharina so viel Zeit und Energie damit verschwende, ihrem untreuen Geliebten und dessen Bettgeschichten nachzuspüren, dass sie gar nicht dazu komme, sich mit Politik zu befassen.
    Elisabeth hörte zu und überlegte, was für einen Vorteil sie aus alledem ziehen und was für schmutzige Details sie mir noch entlocken konnte. Ich las es in ihren wässrig blauen Augen, die mich durchdringend musterten.
    Ich dachte daran, mit welcher Empörung die Offiziere der Garde reagiert hatten, als sich herumgesprochen hatte, dass das Fräulein Katharina neuerdings eine »intrigante Schlampe« nannte.
    »Sie schleicht sich nachts aus dem Palast«, erzählte ich. »In einer Uniform der Garde oder als Dienstmädchen verkleidet. Er erwartet sie auf der Straße, und dann gehen sie ins Haus seiner Schwester. Sie fragt jetzt nie mehr nach ihrem Sohn … Dem Großfürsten sagt sie, sie hat Kopfschmerzen und kann deswegen nicht zu ihm kommen. Sie schläft wenig.«
    Elisabeth musterte mich nachdenklich von oben bis unten. Ja, so war es: Vor Frauen musste man sich in Acht nehmen, man durfte sie nie aus den Augen lassen. Diejenige, die man übersah, war vielleicht die tückischste von allen.
    Ein leises glucksendes Lachen, boshaft mit einer Spur Neid darin. »Und was sagt mein Neffe Peter dazu?«
    »Er weiß nichts davon.«
    »Dann wird es Zeit, dass er es erfährt.«
    »Ja, Hoheit. Ich werde den Großfürsten unterrichten.«
    Wieder eine Pause, wieder eine Gelegenheit, eine wohlüberlegte Bemerkung einzuschieben. Ich erwähnte ein gutes Vorzeichen: Darja hatte von einem Baby mit einem goldenen Krönchen geträumt. Ein prophetischer Traum, der dem kleinen Großfürsten Paul ein Brüderchen

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